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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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Quadratmeter. Er habe in Summe vier Nägel gefunden, zwei Achtziger, einen Hunderter mit Senkkopf und einen verzinkten Dachpappnagel, den Rest eines Kunstdüngersackes, einen verrosteten Türbeschlag, einen grünen Legostein, und zwar einen Vierer, wie er von seinen eigenen Kindern wisse, und schließlich, was aus seiner Sicht vielleicht am interessantesten sei, einen braunen Lederknopf, wie von einem Lodenmantel oder einem rustikalen Herrensakko. Wie lange er sich schon an Ort und Stelle befunden habe, könne er freilich nicht sagen. An Sebastian Wilferts Jacke habe jedenfalls kein Knopf gefehlt, dessen habe er sich noch einmal vergewissert. In regelmäßigen Abständen sei übrigens Georg, der Sohn der Maywalds, aufgetaucht, sei das Band entlang um die Absperrzone gekreist und habe Fragen gestellt, »Kann man im Schnee überhaupt etwas finden?«, zum Beispiel, oder: »Wie kann das Blut so herumspritzen?«, oder: »Was ist, wenn man nicht draufkommt, wie es passiert ist?« Er, Mauritz, habe sich eher schweigsam verhalten, obwohl ein dermaßen wissbegieriges Kind dazu verleite, selbst auch frisch draufloszureden. Speziell die Tatsache der Ermordung Wilferts habe er, ganz wie vereinbart, mit keinem Wort erwähnt, nicht einmal angedeutet, auch nicht Georgs Mutter gegenüber, die ihn zum Mittagessen ins Haus gebeten habe. Es habe ein sehr akzeptables Chili con Carne gegeben, dazu selbstgebackenes Brot und Apfelmost. Ernst Maywald sei nicht da gewesen, sondern angeblich bei seinem Bruder, um ihm beim Aufschneiden von Lärchenstämmen zu helfen. Die kleinere der beiden Töchter habe die ganze Zeit an die Wand gestarrt und kein Wort gesagt.
    Sie sprachen in der Folge darüber, dass auch körperwarmes Blut bei einer Temperatur von minus zehn Grad rasch gefriert, von den absolut uncharakteristischen Fußabdruckfragmenten – Vibramsohle, Größe zweiundvierzig –, die dort und da zu finden gewesen waren, und davon, dass dieses Fahrzeug, um welches auch immer es sich gehandelt hatte, offenbar an der Scheunenrampe Halt gemacht hatte und sie nicht hinaufgefahren war. Was tatsächlich Sebastian Wilferts Schädel zermalmt hatte, blieb unklar. Kovacs ließ den Meteoriten unerwähnt und Mauritz schwieg ebenfalls. Eleonore Bitterle berichtete, ihre Recherche habe ergeben, dass das Abtrennen von Köpfen oder das Verstümmeln von Gesichtern in erster Linie durch geisteskranke oder schwer persönlichkeitsgestörte Menschen erfolge und dass man in der einschlägigen Literatur erstaunlich häufig Söhne als Täter finde, die ihre Mütter meinten vernichten zu müssen, eine Kombination, die im gegenständlichen Fall wohl nicht zum Tragen komme. Wovon man allerdings ausgehen könne, sei eine beträchtliche Energie hinter dem Gewaltakt, die nicht zuletzt in seiner absurden Ästhetik ihren Ausdruck finde. »Ästhetik?«, fragte Sabine Wieck und Bitterle antwortete: »Jawohl, Ästhetik. Wie ein blutiges Gemälde.« Kovacs schrieb ›Ästhetik‹ an die Tafel, Sabine Wieck schüttelte den Kopf und Lipp hob plötzlich die Hand wie in der Schule. »Mir ist etwas eingefallen«, sagte er, »es gab da eine ›Pater Brown‹-Folge im Fernsehen, in der jemand dadurch ermordet wurde, dass man ihm vom Kirchturm aus einen Hammer auf den Kopf fallen ließ.« Keiner der anderen konnte sich an die Folge erinnern. »Außerdem war ich gestern den ganzen Tag am Tatort und habe keinen Kirchturm gesehen«, sagte Mauritz, »obwohl Sonntag war.« Lipp wirkte leicht beleidigt. »Ich hab ja nur gemeint«, sagte er.
    Lipp bekam am Ende jedenfalls den Auftrag, sich im Jagdverein und im Seniorenbund umzuhören, den beiden Orten, an denen Sebastian Wilfert regelmäßig außerfamiliäre Kontakte unterhalten hatte. Eleonore Bitterle sollte Wilferts Finanz- und Vermögensverhältnisse überprüfen und eine Pressemitteilung verfassen, die man am späteren Nachmittag aussenden würde. Mauritz schließlich kündigte an, sämtliche verfügbaren Reifenprofilkataloge durchzuschauen. Danach hatte er vor, sich ins Auto zu setzen und nach Salzburg zu fahren. Dort führte eine seiner Tanten ein Geschäft für Schneiderzubehör. Wenn man Fragen zu einem Knopf habe, sei sie die Richtige, sagte er.

Zwölf
    Es schneit. Wenn ich nach oben schaue, sehe ich hunderttausend Millionen. Manchmal fällt mir eine Flocke aufs Auge. Dann muss ich zwinkern.
    Hinter dem Gestöber und den dicken grauen Wolken und den blauen dünnen Wolken und der Stratosphäre befindet sich das Weltall. Geonosis

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