Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
so sanft, dass Lisandra und Geicko Hoffnung schöpften. Ihre Zuversicht wurde auf eine harte Probe gestellt, als ein Wesen in der Zeltöffnung sichtbar wurde, von dem sie mal geglaubt hatten, dass es nur in schlimmen Märchen vorkam. Andererseits erkannten sie, als sie näher traten, dass dieses Wesen wunderschön war – ganz entgegen ihren Erwartungen. Wer erwartet schon von einer Spinnenfrau, dass sie schön sei?
Sie war es aber. Sie sah aus wie eine sehr schmale Frau mit weißer, durchscheinender Haut. Nur mit dem Unterschied, dass sie vier Beine und vier Arme hatte mit Fingern, so lang und dünn wie Schilfblätter. Noch verwirrender waren ihre vielen Augen, alle wasserblau und von freundlichem Aussehen. Ihr Haar stand in einzelnen silbernen Locken vom Kopf ab. Nun winkte sie mit ihren langen Fingern und Lisandra lief ein Schauer über den Rücken, als sie an den Handgelenken der Spinnenfrau jeweils einen langen, weißen Stachel erkannte. Spinnenfrauen waren giftig, hieß es. Mit ihren Stacheln versetzten sie ihre Opfer in tiefen Schlaf und wenn die Opfer irgendwann wieder aufwachten, baumelten sie, in einen hübschen Seidenfaden gewickelt, in der Vorratskammer.
„ Kommt nur“, rief dieses seltsame schöne Wesen. „Hier drin ist die Luft rein und frisch. Keine Angst, ich helfe euch!“
Sie hatte so eine helle Stimme, dass Lisandra und Geicko ihr Misstrauen überwanden (was hätten sie auch sonst tun sollen?) und der Aufforderung folgten. Lisandra kam sich ganz plump und hässlich vor in der Nähe der Spinnenfrau, obwohl Lisandra weder das eine noch das andere war. Doch wie hätte sie es mit der Feingliedrigkeit dieses Wesens aufnehmen können? Diese Spinnenfrau war einerseits sehr unheimlich und andererseits beneidenswert elegant. Jedenfalls hatte sie nicht gelogen, die Luft im Zelt war frisch und kühl wie an einem Frühlingsmorgen. Auch behielt sie schön ihre Stachel bei sich, sie zeigte nur auf zwei blaue Samtpolster, auf denen Lisandra und Geicko Platz nehmen sollten. Lisandra sah, dass Geicko die Frau noch viel erstaunter ansah als sie selbst. Und es machte sie fast ein wenig eifersüchtig.
Nachdem Lisandra und Geicko auf den Polstern Platz genommen hatten, setzte sich auch die Spinnenfrau in eine Art Hängematte – es war ein Gespinst aus Spinnennetz-Fäden, weiß und fein anzusehen.
„ Ich danke euch“, sagte sie, „dass ihr meinem Ruf gefolgt seid. Ich bin hier im Auftrag eines Ritters, der sehr um euer Wohl besorgt ist. Eure Freundin, die heute entführt worden ist, schwebt in großer Gefahr. Doch wir werden nichts unversucht lassen, um sie zu finden und zu retten.“
„ Sie wurde entführt?“, fragte Lisandra. „Warum?“
Die Spinnenfrau schloss einige ihrer vielen blauen Augen, die anderen schauten in die Ferne. „Diese Geschichte begann vor langer Zeit, Jahrhunderte bevor ihr geboren wurdet. Ich kann sie euch nicht von Anfang an erzählen. Ich beschränke mich auf das, was jetzt für euch wichtig ist: Ein Geheimnis wurde gestohlen. Man bewachte es an einem heiligen Ort in einer heiligen Welt, doch dort ist es nicht mehr. Wir müssen vermuten, dass es seit seinem Verschwinden von einer schlechten Hand in die nächste gewandert ist und dass jeder ein Stück davon behielt. Doch das Kernstück, der Lilien-Schrein, muss in den Besitz einer Cruda gelangt sein.“
„ Gibt es denn noch Crudas?“, fragte Geicko. „Ich dachte, man hätte sie alle … fortgeschickt.“
„ Crudas gibt es immer wieder“, sagte die schöne Spinnenfrau. Aus ihrem Mund klangen die Worte gar nicht so schlimm wie das, was sie bedeuteten. „Diese Cruda aber hat schon viele Zeiten überlebt. Sie muss Tausende von Jahren alt sein. Das macht sie so gefährlich. Wir müssen befürchten, dass sie das Geheimnis, das vor Jahrhunderten gestohlen wurde, besitzt und versuchen wird, es zu benutzen. Zu diesem Zweck hat sie vor elf Jahren drei Kinder aus einer anderen Welt entführt. Sie braucht die Kinder für die Anwendung eines Experiments – als Zutat. Wir wissen, sie braucht alle drei! Eines der drei hat sie jetzt bekommen. Sobald sie alle drei Kinder in ihrer Gewalt hat, kommt jede Hilfe zu spät und wir alle müssen um unser Leben fürchten. Denn die Cruda ist auf der Jagd nach einem Schlüssel, der es seinem Besitzer erlaubt, Welten nach Belieben zu formen, zu zerstören oder neu zu erschaffen.“
„ Thuna kommt aus einer anderen Welt?“, fragte Lisandra und sprang auf. „Und sie ist jetzt bei der
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