Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
erlaubten, sich zu orientieren. So ein Hilfsmittel hatten Lisandra und Geicko natürlich nicht dabei.
„ Wir sollten umkehren“, sagte Geicko, „und Hilfe holen.“
„ Nein“, erwiderte Lisandra. „Die Lehrer werden sich überhaupt nicht für Thuna interessieren! Sie sagen immer, dass man selbst Schuld ist, wenn man in den Wald läuft.“
„ Ich denke ja gar nicht an die Lehrer, sondern an jemanden wie Gerald“, meinte Geicko. „Ich mag ihn zwar nicht, aber er kann eine Menge und er hilft einem, wenn man in Schwierigkeiten ist.“
„ Ach ja?“, fragte Lisandra. „Davon weiß ich nichts. Ich bitte Gerald bestimmt nicht um Hilfe!“
Der seltsame, schöne Ton, den sie schon zuvor gehört hatten, wurde auf einmal lauter. Er kam um einen Baum herum und sie waren ganz sicher, dass mit ihm eine Gestalt hervortreten würde, doch so war es nicht. Der Ton kam immer näher, läutete in ihren Ohren wie tausend winzige Glöckchen und ging nicht mehr fort.
„ Was ist denn das?“, fragte Lisandra. „Ein Trick der Unholde?“
„ Kann sein“, sagte Geicko. „Aber ich glaube, Unholde machen nicht so schöne Geräusche.“
„ Ich dachte sowieso, es gäbe hier nichts Schönes.“
Geicko ging ein paar Schritte in die Richtung, aus der der Ton gekommen war, und der Ton folgte ihm zustimmend.
„ Dachte ich’s mir doch“, sagte er. „Der Ton will, dass wir seinen Ursprung suchen. Merkst du das?“
„ Das ist eine Falle“, erklärte Lisandra, die tatsächlich nichts dergleichen bemerkte.
Zwar folgte sie Geicko ein paar Schritte, doch der Ton in ihrem Ohr klang unverändert. Oder vielleicht ein bisschen leiser? Da Lisandras Wahrnehmung in diesem Fall sehr ungenau war, musste es etwas mit Zauberei zu tun haben. Von Zauberei verstand sie nämlich gar nichts.
„ Du hast schon recht“, sagte Geicko. „Es spricht alles dafür, dass es eine Falle ist. Aber vom Gefühl her ist es was Gutes. Und auf mein Gefühl kann ich mich eigentlich immer verlassen.“
„ Es ist ein verdammter Zauber!“, rief Lisandra. „Thuna wurde in den Wald gejagt und wir werden verzaubert. Lass uns lieber nach der Spur suchen. Wenn wir der Spur der Hunde folgen, können wir auch auf der gleichen Spur zurück zur Festung finden!“
„ Weißt du, wie schnell so eine Spur im Wald verschwindet?“
Der Ton in ihren Ohren wurde ungeduldig. Er klingelte und sang wie wild. Vielleicht wurden sie ja wirklich gerufen. Aber von wem? Wer konnte gut sein und sich im Wald verstecken? Vielleicht hätten sie noch lange da gestanden und sich nicht einigen können, wenn nicht ein paar weiße Gelichter hinter den Baumstämmen aufgetaucht wären. Sie sahen aus wie klassische Gespenster, solche mit weißen Laken über dem Kopf mit zwei Löchern drin. Nur bestanden sie nicht aus Laken, sondern eher aus Nebel. Neblige Gespensterköpfe, die so schaurig seufzten und wehklagten, dass Lisandra Tränen der Angst und des Schmerzes in die Augen stiegen.
„ Komm mit!“, befahl nun Geicko und rannte dahin, wo der Klang in seinen Ohren ihn hinführte.
Lisandra folgte. Die Gelichter, das wusste sie, waren eigentlich harmlos. Aber nur eigentlich. Denn mit ihrem Gebettel und Gejammer, mit ihren klammen Nebelpfoten, die an Haaren und Jacken zupften, mit ihrem Atemhauch, der einen zum Heulen brachte, und ihren wehleidigen Stimmen, die einen im Kopf kitzelten, hatten sie schon manchen Wanderer in gemütlicheren Wäldern in den Wahnsinn getrieben.
Umso tiefer sie dem silbrigen Ton in den Wald hinein folgten – um fette Baumstämme herum und durch stinkende Sümpfe hindurch – desto tiefer, reiner und voller wurde sein Klang. Endlich sahen sie ein fahles Licht in der Ferne glimmen und entdeckten dann ein Zelt, dessen feine Haut matt schimmerte, da in seinem Inneren ein taghelles Feuer flackerte. Als sie sich dem Zelt näherten, hörten sie, wie eine Glocke geschlagen wurde. Dies musste der Ursprung des Klangs sein, denn dorthin floh er zurück, er verschwand in den Glockenschlägen und Lisandra und Geicko hatten ihr geheimnisvolles Ziel erreicht. Ob es gut oder schlecht war – von diesem Umstand hing nun ihr Leben ab. Denn alleine hätten sie niemals wieder aus dem Wald herausgefunden.
Kapitel 7: Das Versteck im Wald
Das Zelt sah aus wie ein Lampion, der irgendwo hoch oben aus den Bäumen gefallen war, sich in einigen störrischen Zweigen verfangen und dann auf den Waldboden ergossen hatte. Blass, hautfarben und dünn waren die Wände und sie leuchteten
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