Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
war, aber sie fühlte sich losgelassen und Hanns’ Augen sahen wieder ganz normal aus.
„Du willst es nur nicht sehen“, sagte er zu ihr. „Es ist dir zu anstrengend. Das ist typisch. Es hat dich auch nie interessiert, wie aus Kaulquappen Frösche werden.“
„Sie schwimmen rum, kriegen Arme und Beine und springen irgendwann an Land.“
„Siehst du? Dass sie sich verwandeln, dass sie zu atmen anfangen und plötzlich Luft brauchen, um zu überleben, darüber machst du dir keine Gedanken. Solche Verwandlungen sind das Geheimnis des Lebens.“
Scarlett nickte, um ihren guten Willen zu zeigen.
„Gibt es sonst noch Sehenswürdigkeiten, die du gerne bestaunen möchtest?“
Hanns kramte seinen Zettel hervor.
„Der Stachel des Schwarzen Lindwurms …“
„… ist nur ein Stück Eisen, das aus dem Boden ragt.“
„Zeigst du es mir?“
„Es ist das Überbleibsel eines Kerkers, der in die Luft geflogen ist. Bei der Explosion ist das Metall zersplittert und schwarz geworden. Das ist alles. So steht es sogar im Lexikon.“
„Ich weiß. Aber die Explosion fand vor fünfhundert Jahren statt und wurde von einem Zauberer des Unbeugsamen Ordens verübt. Das muss ich mir ansehen!“
„Hast du ein Licht?“
Hanns zeigte ihr seine magikalische Taschenlampe.
„Also gut. Wir müssen ein Stück mit dem Boot fahren, um dahinzukommen.“
Ohne die Bootsfahrten mit Gerald hätte Scarlett nicht gewusst, wie man zum Stachel des Schwarzen Lindwurms ruderte. Sie kam sich ein bisschen wie eine Verräterin vor, als sie mit Hanns durch die unterirdischen Kanäle glitt, die normalerweise Gerald gehörten. Gerald und ihr. Aber sie hatte ja auch nicht vor, Hanns zu küssen. Eigentlich war es erstaunlich, wie vertraut sie und Hanns schon wieder miteinander umgingen. Scarlett fühlte sich überhaupt nicht unbehaglich, das Dunkel der nächtlichen Kanäle mit einem Jungen zu durchqueren, der ihr gestern noch sehr fremd vorgekommen war. Wenn man wusste (und Scarlett wusste es), wie schwer sie normalerweise Freundschaften schloss, wie misstrauisch und verschlossen sie auf jede Form von Annäherung reagierte, dann war das hier mehr als bemerkenswert. Aber auch Hanns hatte schnell Vertrauen zu ihr gefasst. Während dieser Verabredung hatte er bisher kein einziges Mal gestottert.
In diesem unterirdischen Teil der Festung brannten um diese Zeit keine magikalischen Fackeln. Alleine die Taschenlampe, die Hanns bei sich hatte, spendete ein bisschen Licht. Dort, wo der Stachel aus dem Boden ragte, legten sie an und stiegen aus. Hanns studierte den Stachel eingehend, beleuchtete ihn von allen Seiten, verdrehte wieder den Kopf, um Zauber zu sehen, die Scarlett nicht sehen konnte, und dann ruderten sie zurück, gerade noch rechtzeitig zum Abendessen. Ohne es abgesprochen zu haben, gingen sie getrennte Wege, kaum dass sie den unterirdischen Teil der Festung hinter sich gelassen hatten. Scarlett war das sehr recht, denn was sollten die anderen denken, wenn sie zusammen mit Hanns im Hungersaal aufkreuzte? Doch Scarlett hatte den Hungersaal noch nicht erreicht, da sprang ihr Geicko in den Weg und zwang sie, stehen zu bleiben.
„Hast du einen Moment Zeit?“
Er hob einen Sack hoch, den er fest zuhielt. In dem Sack flatterte und zappelte es verdächtig.
„Oh nein! Ist es das, was ich denke?“
Er nickte. Seine schwarzen Augen sahen ehrlich besorgt aus.
„Warum macht sie das?“, fragte Scarlett so leise wie möglich. „Ich hab ihr gesagt, sie soll nicht ohne mich üben.“
„Es war ein Versehen. Sie hätte sich sonst das Genick gebrochen.“
Scarlett verdrehte die Augen.
„Warum macht ihr dauernd Sachen, bei denen man sich das Genick brechen kann?“
Diese Frage ließ Geicko unbeantwortet. Er hielt Scarlett nur ungeduldig den Sack unter die Nase.
„Na, dann gib her“, sagte sie.
Es war gar nicht so leicht, den Sack festzuhalten. Der Vogel, der darin steckte, hatte eine unbändige Energie. Geicko warf Scarlett und dem Sack noch einen letzten prüfenden Blick zu, dann verschwand er mit den anderen Schülern im Hungersaal. Scarlett aber schlüpfte mit dem widerspenstigen Sack in eine ausgediente Spiegelfonkammer. (Das sind Kammern, in denen man mithilfe eines großen Spiegels Kontakt zu weit entfernten Menschen aufnehmen kann – also so etwas Ähnliches wie eine Telefonzelle. Nur dass so große Spiegelfone in Amuylett längst aus der Mode gekommen waren, da man inzwischen handliche Taschenspiegel verwendete. Darum war auch
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