Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
diese Kammer nicht mehr in Funktion, sie diente aber den Schülern dazu, sich heimlich zu küssen, die Haare zu kämmen oder einen Pickelabdeckzauber zu erneuern, bevor sie den Hungersaal betraten.) In der Kammer entließ Scarlett den tobenden Vogel aus seinem Sack und gab ihm in bewährter Manier einen bösartigen mentalen Tritt, der ihn aus seiner Vogelgestalt hinauskatapultierte. Scarlett war dabei etwas zu schwungvoll vorgegangen, denn Lisandra krachte mit einem solchen Schlag gegen die Wand, dass die ganze Kammer hin- und herwackelte.
„Auaaa!“, rief sie. „Willst du mich umbringen?“
„Das Gleiche könnte ich dich auch fragen. Komm, ich hab Hunger!“
Mit diesen Worten verließ Scarlett die Kammer und Lisandra humpelte hinterher.
„Wusstest du, dass es Leute gibt, die Zauber sehen können?“, fragte Scarlett.
„Nein, woher denn? Ist mir auch egal. Wozu soll ich was sehen, was ich sowieso nicht kann?“
„Oh, schlechte Laune?“
Lisandra holte Scarlett auf einem Bein hüpfend ein.
„Hey, du hast mich gerade krankenhausreif gezaubert und außerdem habe ich den halben Nachmittag als Vogel in einem Sack verbracht! Wie kommst du darauf, dass ich schlechte Laune habe?“
Sie kamen als Letzte in den Hungersaal und Lisandra tat ihr Bestes, um manierlich mit beiden Beinen aufzutreten. Dabei musste sie die Zähne zusammenbeißen. Scarlett bekam fast ein schlechtes Gewissen. Das nächste Mal musste sie Lisandra vorsichtiger zurückverwandeln. Kaum saßen sie am Tisch, fing Thuna an, wie ein Wasserfall zu reden.
„Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was ich heute alles gelesen habe! Es ist so interessant! Wusstet ihr, dass dieser Riese, der die Welt erschaffen und seinen Zahn verloren hat, verliebt gewesen ist? Seine große Liebe war Lichtblut, die Urmutter aller Feen! Sie hat ihn auch geliebt, aber ihr Bruder Torck, der Gewittergott, konnte den Riesen nicht ausstehen. Er hat Lichtblut verboten, den Riesen zu treffen, und deswegen …“
„Warum?“ fragte Scarlett.
„Weiß ich nicht, das stand nicht in meinem Buch. Ich nehme an, er war eifersüchtig.“
„Ich meine, warum hat sie sich das gefallen lassen?“
„Vielleicht, weil sie ihren Bruder mochte? Jedenfalls hat der Riese eine Welt geschaffen, nämlich Amuylett, die er als schimmligen Laib Brot tarnte, damit der Gewittergott nichts merkte. In dieser Welt hat sich der Riese heimlich mit Lichtblut getroffen.“
„Auf einem verschimmelten Brot?“, fragte Lisandra entgeistert.
„Die Welt sah doch nur so aus. Für einen Gott! Nehmt doch nicht alles so wörtlich. Eines Tages kam aber der Gewittergott seiner Schwester auf die Schliche. Er folgte ihr nach Amuylett, das damals noch ganz anders hieß, und erwischte das Liebespaar. Daraufhin verprügelte er den Riesen und schlug ihm besagten Zahn aus!“
„Was für ein jähzorniger Typ!“, rief Lisandra.
„Er ist Gewittergott“, sagte Scarlett, „da muss man aufbrausend sein! Oder kannst du dir ein sanftmütiges Weichei vorstellen, das Blitze schickt?“
„Die Urmutter der Feen, Lichtblut, war stinksauer auf den Gewittergott“, erzählte Thuna. „Sie verbot ihm, Amuylett jemals wieder zu betreten. Den verwundeten Riesen heilte sie mit einem Verband aus einem zusammengerollten Regenbogen. Sie krönte ihn zum ersten König von Amuylett und die beiden lebten einige Jahrhunderte glücklich zusammen. Dann aber schickte der beleidigte Torck seine Töchter nach Amuylett, Halbgöttinnen des Zorns. Sie führten viele Kriege mit dem Riesen, die sich über Jahrtausende hinzogen. Am Ende wurden Torcks Töchter besiegt, doch hatten diese Töchter mit einigen Menschen Kinder bekommen. Und die Kinder dieser Kinder brachten die ersten bösen Crudas auf die Welt. Auch heute noch kann es sein, dass Crudas unter den Nachkommen Torcks geboren werden, doch sie sind sehr selten geworden. So die Legende. Es gibt aber noch mehr Geschichten zu dem Riesenzahn und wie der Riese ihn verloren haben könnte.“
„Was ist los, Maria?“, fragte Lisandra. „Schmeckt dir das Essen nicht?“
Maria hatte sich noch mit keinem Wort an der Unterhaltung beteiligt und tatsächlich stocherte sie in ihrer Sumpfgemüsepastete herum, ohne davon zu essen.
„Ach, ich bin nur …“
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür zum Hungersaal und Wanda Flabbi trat mit einer Schülerin ein. Das Mädchen hatte lange, blonde Haare, verheulte Augen und trug eine rosa Strickjacke. Wanda Flabbi führte das
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