Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
Fortinbrack prangte auf ihrer Brust: ein geflügelter Eisbär auf blauem Grund.
„Hier rührt sich niemand vom Fleck“, verkündete die donnernde Stimme des einen Soldaten. „Alle setzen sich!“
„Was denn nun?“, krähte Frau Eckzahn. „Nicht rühren oder setzen?“
Das hätte sie nicht tun sollen, denn der zweite Soldat feuerte sofort ein Geschoss auf sie ab, das sie am Kopf traf und zu Boden warf.
„Dorinde!“, rief Krotan Westbarsch entsetzt. „Dorinde, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“
Der Krötenlehrer ging neben Frau Eckzahn in die Knie, zog eilig sein Samtjackett aus und bettete Frau Eckzahns Kopf darauf. Die Schüler taten, was man von ihnen verlangt hatte. Sie alle setzten sich, alleine schon wegen der weichen Knie, die sie hatten.
„Du Glückliche“, raunte Geicko Lisandra zu. „Du kannst wenigstens wegfliegen, wenn’s hart auf hart kommt.“
Thuna tastete nach der Schachtel mit Sternenstaub in ihrer Rocktasche. Sie glaubte nicht, dass der Staub sie retten würde. Aber nach der Schachtel zu tasten, tat ihr irgendwie gut.
„Verhaltet euch alle ruhig“, sagte nun der Soldat an der Tür. „Dann wird euch nichts passieren.“
Maria saß stocksteif am Tisch, die Hände auf der Tischplatte.
„Und was ist mit dem Frühstück?“, murmelte Lisandra. „Sollen wir jetzt verhungern?“
Man hörte Frau Eckzahn stöhnen, sie lebte also noch.
„Wie kannst du nur an Essen denken?“, fragte Thuna.
Etwas wie ein Donner erschütterte Wände und Tische des Hungersaals. Die Schüler schauten erschrocken um sich. Kurz vibrierte der Boden, dann war es wieder ruhig.
„Der Gewittergott?“, flüsterte Lisandra.
„Nein“, sagte Maria leichenblass, „ich glaub, es war nur die Trümmersäule.“
Scarlett hatte kein Zeitgefühl. Sie sah nur, dass es heller wurde und die Schatten der Bücherregale über den Dielenboden wanderten. Das Gute daran, wenn man in ein Buch (oder was auch immer) verwandelt worden ist, sind die flachen Gefühle, die einen solchen Zustand begleiteten. Scarlett war nicht in der Lage, verzweifelt zu sein oder tiefen Schmerz zu empfinden. Sie existierte nur so vor sich hin, herumstehend, nutzlos und ansatzweise elend. Das war kein schöner Zustand, wirklich nicht, aber er war auszuhalten. Hätte Grindgürtel sie gefesselt und geknebelt in einen Schornstein geworfen, wäre es ihr wesentlich dreckiger ergangen. So versuchte sie sich zu trösten, während eine dumpfe Leere von ihr Besitz ergriff, die ihr jede verstreichende Minute verleidete. Vielleicht wollte sie doch lieber gefesselt in einem Kamin liegen? Dann hätte sie wenigstens stöhnen und strampeln und wüten können! Aber das hier? Oh je, hoffentlich gab es keine Wesen, die in diesem Zustand Jahrhunderte verbringen mussten! Wahrscheinlich schlief man irgendwann ein, weil der Geist nichts zu tun hatte. Dann konnte man vielleicht träumen. Aber ob es so war oder nicht, würde Scarlett wohl nie herausfinden. Denn Grindgürtel hatte ihr ja versprochen, dass sie noch heute zu nasser Asche werden sollte, genauso wie Sumpfloch. Oh, es war zum Auswachsen! Warum bloß konnte sie nichts tun ?
Dann entdeckte sie einen Schatten, der vorher noch nicht da gewesen war. Er bewegte sich zwischen den Regalen entlang, langsam und spähend. Der Junge, der den Schatten warf, kam um die Ecke. Es war Hanns. Hanns von Fortinbrack. Er ging an den Reihen von Büchern auf und ab, die Augen aufmerksam auf die Einbände gerichtet. Als er an die Stelle gelangte, wo Scarlett war, blieb er stehen.
„Na, endlich!“, rief er. „Hast du ein Glück, dass ich Zauber sehen kann!“
Er holte sie aus dem Regal, was ein merkwürdiges Gefühl war, und stellte sie auf den Boden. Dann richtete er sich auf – er überragte Scarlett wie ein Riese – und bewegte seine Fingerspitzen. Plopp! machte es und plötzlich fühlte sich Scarlett frei. Die viel zu enge Zwangsjacke des Zaubers war geplatzt wie eine Seifenblase. Sie atmete heftig ein und aus und fasste sich an den Kopf. Endlich konnte sie wieder hören, sprechen, riechen, sehen und fühlen wie ein normaler Mensch. Sie hatte auch ihre richtige Größe zurückbekommen! Nur das steife Buchgefühl hatte sie noch nicht verlassen. Es hielt sie davon ab, sich zu bewegen.
„Hanns!“, sagte sie nur und starrte ihn an. „Meine Güte, Hanns!“
„Es tut mir schrecklich leid, Scarlett!“
„Ach ja?“
„Weißt du, mein Vater und ich haben unterschiedliche Ansichten, was dich betrifft.“
„Das
Weitere Kostenlose Bücher