Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
doch so dicke Freunde!“
„Ja, ja“, sagte Maria besänftigend, „aber das hat Zeit.“
Lisandra war anderer Meinung. Als sie jedoch einen Blick zurück über ihre Schulter warf und sah, wie Scarlett ihr Gesicht an Geralds drückte und er die Arme um sie schloss, da wurde sie doch verlegen und beeilte sich, mit ihren Freundinnen einen Umweg zu gehen.
Diese Geschichten zwischen Jungs und Mädchen kamen Lisandra komisch vor. Wenn sie sich vorstellte, dass Geicko eines schönen Tages auf die Idee kommen könnte, sie küssen zu wollen, geriet sie fast in Panik. Es war doch viel praktischer und einfacher, nur befreundet zu sein. Wenn es nach Lisandra ging, konnte das noch lange so bleiben. Was nichts daran änderte, dass Scarlett und Gerald ein schönes Paar waren. Aber irgendwie schien Scarlett sowieso älter zu sein als sie alle. Vielleicht, weil sie schon so viel erlebt hatte. Vielleicht lag es auch an etwas anderem. Und überhaupt, so genau wollte Lisandra über diese Dinge nicht nachdenken. Mit Geicko um die Wette zu rennen und sich hinterher zu boxen, weil Lisandra angeblich zu früh losgerannt war – das war doch viel verlockender als langweiliges Händchenhalten und schönes Gerede von wegen „Ich liebe dich“.
Derart abgelenkt von ihren Gedanken trottete Lisandra hinter ihren Freundinnen um die Gewächshäuser herum. Als sie Thuna und Lisandra die Kellertreppe hinabsteigen sah, die zum Eingang führte, sah sie über den beiden an der Hauswand einen ungewöhnlichen Schatten kleben, der sich plötzlich fallen ließ.
Lisandra beeilte sich, zu den Freundinnen aufzuschließen, doch sie brauchte zu lange. Als sie die erste Treppenstufe betrat, verschwand der Schatten gerade hinter den beiden Mädchen im Inneren des Hauses. Alarmiert sprang sie die Treppe hinab, mehrere Stufen auf einmal nehmend.
„Wenn der Verkäufer ein Drachengesicht hat“, hörte sie Maria sagen, „heißt das dann, dass er Drachenverwandte hat? Ich meine - “
Und dann hörte Lisandra einen ohrenbetäubenden Schrei. Sie hetzte um die Ecke und hielt sich vor Schreck beide Hände vor den Mund. Marias Schrei erstarb zu einem erstickten Wimmern. Sie hatte ihre Finger in Thunas Arm gekrallt. Thuna selbst war wie versteinert.
Ein großer Mann stand vor den Mädchen, schemenhaft im schwachen Licht der Kellerfunzeln. Er musste tot sein, so blass und mitgenommen, wie er aussah. Seine Augen waren schwarz unterlaufen, seine Lippen fahl und ausgedörrt. Er hatte wohl mal kurz geschnittene Haare und einen Bart gehabt, doch davon fehlte einiges. Am Schädel war nicht nur die Kopfhaut zu sehen, sondern auch ein Teil des Schädels selbst. Der Mann trug eine stark verblichene Uniform, die zerfressen und ausgefranst war. Ein abgebrochener Säbel hing in seiner Gürtelschlaufe.
Das Gesicht des Mannes ließ auf einen scharfen, eiskalten Verstand schließen. Er sah aus wie ein Tyrann, der sich die Welt zum Untertan machte, ganz gleich, was es ihn oder andere kostete. Doch gleichzeitig wirkte er müde und traurig. Fast verzweifelt. Vielleicht sah man so aus, wenn man lange Zeit in einem Grab verbracht hatte und an einer Seele litt, die schreckliche Sünden auf sich geladen hatte. Vielleicht hatte er aber auch so ausgesehen, als er starb. Vielleicht hatte General Kreutz-Fortmann in den letzten Stunden seines Lebens einsehen müssen, dass er vergeblich gekämpft hatte. Dass seine Macht, die er so erbittert und rücksichtslos erobert hatte, zerrann. Am Ende half sie ihm nichts, am Ende stand er mit leeren Händen da, so wie jeder, der seinem Tod begegnet.
Das dachte Lisandra. Was Thuna und Maria dachten, wusste sie nicht. Sie beschloss jedenfalls, keine Angst vor diesem Mann zu haben. Sie schaute in die Verlorenheit seiner dunklen Augenhöhlen und wollte mehr wissen.
„General?“, fragte sie. „Können Sie mit uns sprechen?“
Thuna drehte sich nach Lisandra um. In ihrem Blick mischte sich Entsetzen mit Staunen. Der General gab nur ein Röcheln von sich und sank dann langsam vor Maria auf die Knie. Dabei zog er den abgebrochenen Säbel aus dem Gürtel und legte ihn ihr zu Füßen. Maria, die ihre Hände immer noch in Thunas Arm krallte, schnappte nach Luft. Was wollte dieses Gespenst von ihr? Was sollte sie jetzt tun?
„Er muss dich verwechseln“, flüsterte Thuna in Marias Richtung.
„Mit wem?“, fragte Maria. Ihre Stimme klang wie ein kaputter Briefkasten, durch den der Wind pfiff.
„Mit der letzten Kaiserin des Kinyptischen
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