Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
Aschenbecher auf dem Balkon. Gerald hatte erst mal aufgeräumt, eine Woche lang, bis die Wohnung wieder normal ausgesehen hatte. Dann hatte er sich um Lulu gekümmert. Sie war sieben Jahre alt und angesichts der Umstände, in denen sie lebte, ein erstaunlich normales Mädchen. Sie war es gewohnt, jeden Morgen alleine aufzustehen, sich Frühstück zu machen, zur Schule zu gehen, und sich dann mittags selbst etwas zu essen zu kochen. Das war der Zeitpunkt, zu dem auch ihre Mutter aufzuwachen pflegte.
Gerald machte sich große Sorgen. Seine Mutter meinte es nicht böse, hatte aber noch nie das Talent gehabt, sich in ihrem Leben zurechtzufinden oder sich um ihre Kinder zu kümmern. Aus diesem Grund hatte Gangwolf (der eigentlich Wolfgang hieß) seinen Sohn nach Amuylett geholt. Damals war Gerald sechs Jahre alt gewesen. Jetzt war Gerald eigentlich alt genug, um wieder in seiner eigenen Welt zu leben und sich um seine Mutter und seine Schwester zu kümmern, so wie er es in den Ferien tat. Doch diese eigene Welt war ihm fremd geworden. Wenn er dort bliebe, würde ihn das von allem trennen, was er sonst noch liebte und was ihm besonders wichtig war. Es würde ihn auch von Scarlett trennen.
Gerald war sehr niedergeschlagen, als er Scarlett davon erzählte. Und sie war bestürzt, weil sie gar nicht geahnt hatte, dass Gerald zwei Leben führte und nicht wusste, wohin er am Ende gehörte. Sie bekam auch Angst, dass sie ihn womöglich eines Tages an seine eigene Welt verlieren könnte. Doch jetzt war er immerhin da. Wenn auch mit einer Hand, die im Laufe des Abends immer mehr anschwoll und pochte. Gerald begab sich nicht gerne in die Fänge von Estephaga Glazard, doch er sah gegen Mitternacht keine andere Möglichkeit mehr. Eines musste man der Glazard aber lassen: Sie verstand ihr Handwerk. Das Fieber, das Gerald in der Nacht bekommen hatte, war am nächsten Morgen fast verschwunden.
Als die vier Mädchen (und ein Löwe) dann am frühen Nachmittag vor der alten Tür mit den geschnitzten Faunen und Gnomen standen, die in die Wohnung von Lehrer Winter führte, da öffnete ihnen ein fröhlicher Gerald, dem die Erschöpfung nicht mehr anzusehen war. Die Blässe war verschwunden und aus seinen braunen Augen sprangen Funken von Abenteuerlust.
„Kommt rein, Mädels“, rief er.
Neugierig schlüpften Lisandra, Thuna und Maria in die Wohnung, in der sie noch nie gewesen waren. Sie kannten sie nur aus Scarletts Erzählungen. Die Wohnung, die Herr Winter bewohnte, gehörte sicher zu den hübschesten Gebäudeteilen von Sumpfloch. Sie lag unterm Dach des Haupthauses und durch ihre Fenster konnte man fast den ganzen Schulgarten überblicken. Sie war sonnig und sehr wohnlich, mit eleganten und gemütlichen Möbeln. Gerald schlief nachts in den Mehrbettzimmern des Jungen-Trakts, um nicht zu viele Mitschüler gegen sich aufzubringen. Doch die Tage verbrachte er gerne in Herr Winters Räumen. Seit Gerald von seinem echten Vater nach Amuylett geholt worden war, hatte Herr Winter die Rolle des offiziellen Vaters gespielt. Tatsächlich hatte Gerald in seinem Leben viel mehr Zeit mit Herrn Winter verbracht als mit seinem richtigen Vater, weswegen Herr Winter wie ein Vater für ihn geworden war. Und die Räume, die Herr Winter bewohnte, waren Geralds Zuhause. Es gab keinen Ort in allen Welten, an dem er sich wohler fühlte.
Scarlett betrat die Wohnung als Letzte und trödelte dabei so lange herum, bis sie dem Gastgeber einen Begrüßungskuss geben konnte, ohne dass es ihre Freundinnen sahen.
„Schön Schule geschwänzt heute?“, fragte sie ihn. „Sehr krank siehst du nicht mehr aus.“
„Das liegt an Estephagas Medizin“, sagte er. „Im ersten Moment sieht man grüne Sternchen, aber dann fühlt sich alles ganz leicht an!“
„Die Medizin möchte ich auch mal haben.“
„Ich glaube, Estephaga schluckt sie regelmäßig. Wenn ich mir ihre Augen so ansehe …“
„Konntest du Lissis Uhr reparieren?“
„Das war hart! Diese Uhr sah aus, als hätte sie hundert Jahre im Magen eines Drachen gelegen. Lissis Kräfte sind erschreckend destruktiv.“
„Aber du hast es trotzdem geschafft?“
„Na, logisch“, sagte er und strahlte Scarlett auf eine Weise an, die vermutlich ironisch gemeint war. Aber so ganz genau wusste man das bei Gerald nie. Er strotzte nun mal vor Selbstbewusstsein, meistens jedenfalls.
Und dann hörten sie Lisandra auch schon kreischen.
„Oh Gerald! Du bist ein Held!“, schrie sie durch die ganze Wohnung und kam
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