Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
unmögliche Weise, Kontakt zu ihrer Schwester aufzunehmen, wie sie Thuna erklärte.
„Glauben Sie denn, dass Ihre Schwester den Löwen behalten wird, wenn sie von ihrer Expedition zurückkommt?“
„Wo denkst du hin!“, rief Estephaga. „Sie ist doch ständig unterwegs, sie kann keinen Löwen betreuen.“
„Aber sie muss doch irgendeinen Plan gehabt haben …“
Estephaga lachte laut auf.
„Einen Plan? Meine Schwester? Sie hat nie Pläne. Ihr läuft ein komischer Löwe zu, sie behält ihn. Ohne an die Folgen zu denken.“
Thuna nickte.
„Wenn das so ist, warum versuchen Sie dann, ihre Schwester zu erreichen?“
„Grohann will es so. Er will wissen, wo der Löwe herkommt. Er sagt, etwas stimmt nicht mit ihm.“
„Was denn?“
„Der schwarze Bruder riecht nach einem verbotenen Zauber. Meine Schwester ist bestimmt nicht schuld dran, sie ist nämlich eine lausige Zauberin! Aber wenn es darum geht, sich von einem bösen Zauberer einwickeln und ausnutzen zu lassen, das kann sie.“
Eins der drei Spiegelfone, die Estephaga in der Hand hielt, gab ein sanftes Glöckchengeräusch von sich.
„Entschuldige“, sagte Estephaga und rannte mit dem Spiegelfon, in dessen Spiegel jetzt ein Gesicht erschien, in ihr Labor.
Thuna bog in die Krankenstation ab. Rackiné war allein, sehr zu Thunas Erstaunen. Sie hatte Maria hier erwartet. Da die Gelegenheit günstig war, beschloss Thuna, etwas hinter sich zu bringen, was sie schon seit zwei Tagen vor sich her schob. Sie würde tun, was die Nixe ihr aufgetragen hatte, obwohl es bestimmt ein Irrtum war, der sich aus Thunas falsch gestellter Frage ergeben hatte. Sie würde also Rackiné küssen. Kaum zu glauben, aber wahr – von all den seltsamen Pfaden, auf denen Thuna in letzter Zeit gewandelt war, war das hier sicher der verrückteste.
Der Wind pustete gerade eine Ladung Blätter gegen die Fenster, auch ein Ast war dabei, der mit ordentlichem Krach gegen die Scheibe schlug, doch der schlafende Hase blinzelte nicht einmal. Thuna setzte sich auf den Bettrand und betrachtete Rackiné, wie so oft in den letzten Tagen. Er war kein Kuscheltier, auch wenn er mal als solches hergestellt worden war. Hier in Sumpfloch hatte er alles Kuschelige, das er vielleicht mal besessen hatte, eingebüßt. Er war groß geworden und schwierig. Trotzdem sah Thuna in ihm einen Freund. Mit Rackiné konnte sie in den bösen Wald gehen, sie beide fühlten sich dort zu Hause. Gut, sie gerieten auch oft in Streit. Rackiné musste immer widersprechen, wusste alles besser, wollte garantiert nach links gehen, wenn Thuna nach rechts gehen wollte, und entschuldigte sich nie, wenn er sie beleidigt oder einen Fehler gemacht hatte. Aber er war treu. Sie hatte ihn auf ihrer Seite und sie wusste, er würde um ihretwillen immer bereit sein, alles zu riskieren. Wahrscheinlich hatte er wirklich geglaubt, dass Lars Thuna verraten hatte. Rackiné war zwar eifersüchtig und hatte nicht die besten Manieren, aber dass er Lars in den Finger gebissen hatte, war selbst für ihn außergewöhnlich dreist. Er musste sehr wütend auf Lars gewesen sein.
Thuna sah sich nach allen Seiten um und lauschte. Sie war allein, niemand würde sie beobachten. Also faltete sie ihre Hände auf dem Schoß und beugte sich vor, bis ihre Lippen Rackinés Stirn berührten. Das fühlte sich komisch an. Er hatte so ein borstiges Fell. Nicht richtig borstig, aber eben auch nicht weich. Sie gab ihm einen winzig kleinen Kuss und richtete sich schnell wieder auf. Wurde er wach?
Nein. Nichts passierte.
Also gut, sie hatte sich schon gedacht, dass das nicht ausreichen würde. Noch einmal beugte sie sich vor und gab Rackiné einen längeren Kuss auf die Hasenstirn. Er roch nach Hase, nicht nach Stofftier. Er roch auch nach dem bösen Wald. Thuna verweilte über der Hasenstirn und schnupperte. Es war eindeutig ein Waldgeruch. Böser Waldgeruch mit Hase. Vielleicht war aber auch etwas von den Blumen dabei, die am See des Nebelfräuleins wuchsen. Jedenfalls war da ein Blumenduft, der Thuna sehr bekannt vorkam. Vermutlich hatte Rackiné kurz vor seiner Verzauberung von den Blumen gefressen. Auch so etwas, worüber sich Thuna regelmäßig aufregte: Er mampfte die schönsten Blumen nieder, ohne sich darum zu scheren. Aber egal. Wachte er jetzt auf?
Immer noch nicht.
Thuna stieß einen kleinen Seufzer aus. Sie hatte es ja geahnt. Immerhin war es nicht so schlimm, einen lebendigen, ohnmächtigen Stoffhasen zu küssen, wie sie befürchtet hatte.
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