Die Supermarkt-Lüge
schmackhaft zu machen. Auch Azofarbstoffe, Laboraromen und Geschmacksverstärker scheinen plötzlich etwas von ihrem Schrecken verloren zu haben.
Einige international bekannte Köche wurden dafür bezahlt, Gerichte mit Zusatzstoffen anzureichern. Dazu Âgehören der Spanier Ferran Adrià und der Brite Heston Blumenthal. Im Rahmen des von der EU geförderten Projektes Inicon (IPS-2001â42016) flossen 550.863 Euro Steuergelder für Zusatzstoffküche. Die Köche erhielten fünfstellige Summen. Weitere Zahlungen flossen von Iberagar, einem Hersteller von Additiven, sowie vom AromenÂhersteller Cosmos Aromatica. Insgesamt flossen damals, in den Jahren 2003 bis 2005, genau 642.811,37 Euro ÂIndustriegelder im Rahmen des Projektes. Ãber den Verbleib dieser Summe möchte heute keiner der Beteiligten Auskunft geben.
Der Griff in den Chemiekasten war Alltag im Projekt Inicon (die Abkürzung steht für »Introduction of innovative technologies in modern gastronomy for the modernisation of cooking«). Mit Emulgatoren und Geliermitteln aus der Gruppe der E 400 ff. wurden »falscher Kaviar« aus Saft oder Fond, »flüssige Tomaten, Oliven, Erbsen etc., heiÃes Hummer-Gelee« und vieles mehr geschaffen. Hinreichend gewürdigt wurden die Aromen des Partnerunternehmens Cosmos Aromatica, Labor-Elaborate mit dem Odeur von Olivenöl, Räucherlachs, Leberpastete, Barbecue, Grillhuhn oder Pizza zum Beispiel. Offizielle Partner des Projektes waren die Restaurants Grashoff in Bremen, Le Crocodile in StraÃburg (der ursprüngliche Partner La Table dâAnvers in Paris wechselte den Besitzer) sowie The Fat Duck in Bray-on-Thames, England, und das Restaurant El Bulli des bekannten Starkochs Ferran Adrià in ÂRosas, Spanien. Besonders die beiden letzteren praktizieren eine Küche, die Inicon-Forschungsergebnisse logisch in die Speisekarte einbinden konnte.
»Adrià hat die Lebensmittelchemie salonfähig gemacht«, erklärte der deutsche Spitzenkoch Eckart Witzigmann im Januar 2011 im Nachrichtenmagazin Der Spiegel . Unter anderem verkauft Adrià seit Jahren eine eigene ÂZusatzstofflinie namens »Texturas« an Berufskollegen. Diverse Fachhändler bieten die schicken Aludosen auch Privatleuten an. Sogar ein Spiel mit dem Namen »Die Schule der Gourmets«, vertrieben von einem französischen Unternehmen, soll Alt und Jung dazu anregen, sich spielend mit Zusatzstoffen vertraut zu machen und die Rezepte solcher Köche zu Hause auszuprobieren.
Leider haben sich solche Methoden auch in Deutschland flächendeckend breit gemacht, GroÃhändler von Zusatzstoffen für Köche machen exzellente Umsätze. Und weil Köche heutzutage nicht nur kochen, sondern auch als Ernährungsexperten gelten, landeten Additive und Aromen bald auch in Kochbüchern und Gourmet-Zeit schriften. Zusatzstoffe werden inzwischen in Kochbüchern empfohlen, entweder unter ihrer E-Nummer oder, verschleiernd, unter den Namen der Produktlinie oder des Vertriebs. Sie heiÃen dann zum Beispiel »Texturas«, »Biozoon« oder »Sosa«.
Nicht nur im Rahmen des Projekts Inicon wurden bewusst Köche angesprochen, auch das Aromenunternehmen Givaudan lädt namhafte Spitzenköche regelmäÃig zu Kochwettbewerben und Workshops an exotischen Or ten wie Kuala-Lumpur ein. Diese eingeladenen Köche gelten in Gourmet-Guides und Feinschmecker-Presse als besonders kreativ oder »avantgardistisch«. Tatsächlich beruhen die vermeintlichen Innovationen auf genau denselben Techniken, die von der Industrie seit Jahrzehnten angewandt werden.
Ihre Nutzung wurde von einigen Restaurantkritikern, die sich sonst eigentlich als Hüter des guten Geschmacks verstehen, wortreich verteidigt. Dreh- und Angelpunkt der Kommunikationsstrategie der Köche ist die Behauptung, Zusatzstoffe seien natürlich und Kochen an und für sich wäre ja nichts als Veränderung.
Tatsächlich stehen am Anfang jedes Stoffes und jedes Objektes zwangsläufig »Zutaten« aus der Natur, ob es sich um die Seiten dieses Buches (Papier, also Holz), ein Automobil (Metall) oder einen Computer (Metalle, seltene Erden etc.) handelt. Wie gesagt: Für den Begriff »natürlich« gibt es keine rechtliche Definition und dementsprechend sehen Lebensmitteltechnologen vieles als natürlich an.
Zwei Paradebeispiele sollen uns den Additiven gegenüber positiv
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