Die Tänzerin auf den Straßen
königliche Schwester, weil sie nicht vom Jakobsweg zurückkehren und ihr Leben den Armen widmen wollte.
Entsetzt über seine Tat, pilgerte der Schwesternmörder nach Santiago und baute dann am Ort seiner Tat eine Kapelle, wo er fortan als Einsiedler lebte. Jedes Jahr finden an diesem Platz Mysterienspiele statt.
Wir müssen als Menschen und als Menschheit lernen, den Schatten zu integrieren, mit ihm zusammenzuleben wie mit der Nacht. Nicht ihn verbergenihn erkennen und lieben wie den Mondschein. Er ist die andere Seite, eine wichtige Ergänzung zum Tag, zum Licht, zur Helligkeit...
Es gibt kein Leben ohne Verletzung. Das ist eine Illusion. Ich verletze und werde verletzt. Es passiert einfach. Doch es geht um die Verantwortung. Habe ich die Liebe verletzt, muss ich einen Ausgleich schaffen.
Café con leche
Wenn sich am Morgen der Strom der Pilger aus den Herbergen auf den Weg ergoss, war ich längst unterwegs. Ich sage „ergoss“, weil in diesem Jahr unendlich viele Pilger den Jakobsweg gingen. Jeden Morgen stand ich um sechs Uhr auf, was nicht leicht war, da alle anderen Pilger noch schliefen. Gegen acht Uhr fünfzehn erst wurde es hell, da der Weg immer weiter nach Westen führte und in Portugal bereits eine Stunde Zeitverschiebung herrschte. Ich hatte ein System entwickelt, wie ich ohne zu rascheln und Lärm zu machen aus dem Refugio kam, um niemanden zu wecken. Trotzdem hatte ich jeden Morgen Schweißausbrüche vor Anstrengung und Konzentration, wenn ich mit meiner Taschenlampe nach der Wäsche suchte, die ich zum Trocknen am Bettgestell aufgehängt hatte. Der Rucksack stand schon gepackt vor der Tür, die Schuhe auch. Meine Wertpapiere und das Geld trug ich an einem Gürtel immer bei mir. Aufstehen musste ich intuitiv, da ich nur eine Armbanduhr hatte. Von andern Pilgern erlebte ich, dass die den Wecker klingeln ließen, und das empfand ich als Frechheit.
Bis gegen acht Uhr konnte ich die Einsamkeit genießen, die Milchstraße sehen, die Sterne, den wechselnden Mond. Zu meiner linken Seite leuchtete der Mars, der Rote Planet. Er zeigte mir an, dass ich richtig lief, gen Westen. Im Dunkeln waren die Zeichen schwer zu sehen. Die Taschenlampe reichte oft nicht aus, da die gelben Pfeile in ihrem Licht verschwanden. Die Sterne waren eine echte Hilfe, und ich dankte dem spanischen Wetter für den wolkenlosen Nachthimmel. Wie liebte ich die Dämmerung, vor allem die des Morgens!
I ch bin die Frau, die im Bad der Nacht ersteht
wie Venus im weißen Meeresschaum,
im Zwielicht der Dämmerung,
wenn der Morgen
die Nachtschatten atmet.
Durchflutet vom reinen Licht des Mondes,
durchdringt mich ganz der Eule Schrei,
und in Gewändern leicht
fällt meine Seele über Haut und Haar
türkisblau, gold vom ersten Licht am Horizont,
zu streifen mir die Füße
und zu gehen an des neuen Tages Ufer.
Eine Bar zu finden in den Morgenstunden, wo es Café con leche gab, war ein so riesiges Geschenk, dass ich oft genug vor Glück geheult habe. In den Herbergen gab es kaum die Möglichkeit zu frühstücken, sodass ich gegen acht Uhr bereits sieben bis zehn Kilometer Weg oder auch mehr hinter mir hatte und noch nichts im Magen.
Die Bars öffnen spät in Spanien, da sie abends bis in die Nacht hinein Gäste bedienen. Dass man wegen eines heißen Milchkaffees heulen kann, ist zu Hause in der Geborgenheit schwer vorstellbar. Es hängt mit der täglichen Bewegung zusammen, mit der großen körperlichen Anstrengung, die mich wirklich hungrig macht, sodass kleine Dinge einen anderen Wert bekommen. Ein Stück Brot schmeckt so köstlich, dazu ein Schluck Wein... Es kann der Himmel auf Erden sein.
Wir zivilisierten Menschen haben einen immer vollen Alltag. Es fängt mit der ausgebuchten Zeit an und hört damit auf, dass wir immer satt sind, weil wir jeden Tag wie Könige essen. Den leeren Raum, den kleinen Tod im Alltag gibt es nicht, den müssen wir uns selbst schaffen. Das Leben jedenfalls gibt uns das nicht automatisch.
Ich war zufrieden mit meinem Gepäck. Es war so wenig, was ich wirklich brauchte, und es tat gut, mit den wenigen Dingen zu leben. Mir gehörten ein Rucksack und ein Bett, jeden Tag an einem anderen Ort. Gestern hatte ich noch die Kernseife geteilt, die mir zum Waschen der Wäsche, für meinen Körper und für die Haare diente. Ich nahm mir vor, zu Hause auszumisten. Einfacher leben... Das hatten wir in der Ostzeit gut gekonnt.
Café con leche wird auch in Deutschland, wenn ich den Jakobsweg geschafft
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