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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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dürrer Exilliterat in geliehenen Kleidern. »Mir geht es schon viel besser«, sagte er gerade. »Ich liebe diese Zeit am Morgen, du nicht auch?« Mit seinem ungewöhnlichen Akzent (harter ungarischer Rhythmus, gepaart mit dem singenden Tonfall der Briten) klang er beinahe wie ein Magier. »Man kann praktisch spüren, wie die Sonne aufgeht. Hier, setz dich.« Ergebnislos schob er ein paar Zettel auf dem Tisch hin und her.
    Grigori nahm Platz. »Ich habe nicht viel Zeit. Mein Seminar beginnt um halb neun.«
    »Meins um eins.«
    »Ach ja?« Grigori versuchte, sich seine Skepsis nicht anmerken zu lassen. Er hatte im Institut munkeln hören, dass Zoltans einziger Kurs für dieses Semester gestrichen worden war; es hatten sich nur zwei Studenten eingetragen, zu wenige, um grünes Licht für einen Kurs zu bekommen.
    »Dichter des Surrealismus«, sagte Zoltan. »Zwei junge Studenten, wirklich helle Köpfe. Es hieß kurze Zeit, dass der Kurs nicht stattfinden würde, doch als ich den beiden letzte Woche vorschlug, dass wir uns trotzdem treffen könnten, waren sie einverstanden. Wer braucht schon Scheine? Mir gefällt ihr Enthusiasmus.«
    »Die beiden wissen eben, was gut für sie ist.« Sie begriffen, welch einmalige Chance sich ihnen hier bot: Unterricht bei einem Mann, der einige der Dichter, deren Werke er behandelte, persönlich gekannt hatte und dessen beiläufige Bemerkungen nicht nur weise waren, sondern zuweilen den einen oder anderen Klatsch von Weltrang enthielten. Zoltans erster Gedichtband war kurz nach seiner Ankunft in London von einem bekannten britischen Dichter übersetzt worden, woraufhin Zoltan – in gewissen Kreisen – für kurze Zeit zu Europas neuem Enfant terrible avanciert war. Mit seinen müden Augenlidern und einem selbstsicheren Lächeln war er damals so etwas wie ein Dandy gewesen; Grigori hatte Fotos in später übersetzten, inzwischen längst vergriffenen Ausgaben seiner Bücher gesehen. Und obwohl Zoltan nicht der Mensch war, der mit berühmten Bekannten prahlte, tauchte sein eigener Name in nicht wenigen Memoiren vonMalern und Dramatikern, Kunstsammlern und Choreographen, Musen und Bühnenstars auf. Mal eine einzelne Zeile hier oder ein kleiner Absatz dort, doch zweifellos hatte Zoltan einen Fußabdruck hinterlassen. Durch geschicktes Nachfragen konnte man Erinnerungen an Mary Quant und Salvador Dalí aus ihm herauskitzeln oder ihm überraschende Seufzer wie: »Ah, Ringo … Diese langen Wimpern …« entlocken.
    Das Problem war nur, dass sich infolge der neuen Internetforen, in denen Studenten ihre Professoren öffentlich bewerteten, herumgesprochen hatte, dass Zoltan verschroben und seine Kurse anspruchsvoll waren, eher ausgedehnten Gesprächen glichen, auf die sich die Studenten perfekt vorzubereiten hatten. Er erwartete von ihnen, dass sie die entsprechenden Werke im Vorfeld nicht einfach nur lasen, sondern darüber sinnierten, sie analysierten, ja von ihnen träumten. Daher rieten die Studenten einander, einen großen Bogen um Zoltans Kurse zu machen.
    Grigori hatte der Versuchung widerstanden nachzuschauen, was seine eigenen Studenten über ihn schrieben. Er versuchte sich unter allen Umständen vom Internet fernzuhalten. Seinen mutigsten Vorstoß hatte er vor vier Jahren unternommen, als er das erste und einzige Mal etwas bei eBay ersteigert hatte: eine Ausgabe der Zeitschrift Hello aus dem Jahr 1959, in der ein ausführlicher Artikel über Nina Rewskajas Schmuck gestanden hatte. Eine vierseitige Fotostrecke mit Ohrringen und Uhren, Halsketten und Armbändern, größtenteils Geschenke von Bewunderern und internationalen Diplomaten oder von Juwelieren, die für sich werben wollten. Ein Foto auf der dritten Seite von einem Bernsteinarmband mit passenden Ohrringen hatte – auf seine Art – bestätigt, was Grigori seit langem vermutet hatte.
    Er verwahrte die Zeitschrift in seinem Büro, in der obersten Schublade des Aktenschranks, in der er seine Skripte zur russischen Literatur aufbewahrte, hinter einer Mappe mit der Aufschrift »Kurzgeschichten, 19. Jh.«
    Nun aber wurde der Schmuck versteigert. So viel zum Thema Beweis. So viel zum Thema Bestätigung. Grigori musste geseufzt haben, denn Zoltans Stimme klang besorgt, als er ihn fragte: »Wie geht es dir wirklich, Grigori?«
    »Oh, gut. Mach dir bitte keine Sorgen.« Die Rolle des traurigen Witwers war ein Jahr zu ertragen gewesen, doch danach wurde sie unangenehm. Was den kurzen Artikel über Nina Rewskaja betraf, so hatte er nicht

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