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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auseinanderfaltet, wendet sie den anderen den Rücken zu, als handle es sich um ein striktes Geheimnis. »Siehst du?« Maschinengeschriebene Wörter in der Mitte des Zettels, ganz kurz, so dass die Nachricht gehetzt und damit nur umso wichtiger wirkt:
Wir lieben dich Veroschka Mutter und Vater.
    Stolz schaut Vera Nina an. »Sie haben wichtige Dinge zu tun. Darum mussten sie fort.«
    Es ist eine bessere Erklärung als die, die Ninas Mutter ihr hatte geben können. Nina ist damit zufrieden. Vera betrachtet wieder das Telegramm, liest es ein weiteres Mal, dann faltet sie es zusammen und steckt es zurück in ihre Tasche.
    Ein lautes, rasselndes Geräusch und der heiße Geruch von Kohle – weiße Dampfwolken ausstoßend, fährt der Zug keuchend in den Bahnhof ein, und Veras Großmutter ruft: »Zurücktreten, lasst die Leute erst aussteigen. Oh, nein, schau sich einer deine Haare an.« Alte, graue Hände streichen Veras kastanienbraune Zöpfe glatt, klemmen ihr eine vereinzelte Strähne hinters Ohr.
    »Nun, Mädels«, sagt Mutter ernst und macht sich daran, die Taschen von Veras Großmutter zusammenzusammeln. »Zeit, Lebewohl zu sagen.«
    Vera vollzieht einen tränenlosen Abschied, während ihre Großmutter große Mühe hat, in den Zug zu steigen – Hilfe bietet ihr niemand an. Abgelenkt von dem Gedränge, weint auch Nina nicht, als Vera im Innern des Zuges verschwindet. Mutter hat gesagt, dass Nina und Vera sich schreiben und Brieffreundinnen werden können, doch alles, woran Nina auf dem Nachhausewegs denken kann, ist der Zug, der Vera davonträgt.
    Vor der Post halten sie an, und Mutter bittet Nina, um die Ecke zu laufen und sich nach Brot anzustellen.
    Nina flitzt zum Brotladen, vor dem die Menschen dicht gedrängt und schweigsam Schlange stehen. Sie schaut gern dem Kassierer zu, wie er mit dem Abakus rechnet, mag das schnelle Hinundherklackern der Holzkugeln auf den Stangen. Die Schlange bewegt sich langsam vorwärts, und nach ein paar Minuten fällt Nina auf, dass Mutter vergessen hat, ihr Geld mitzugeben. Sie rennt zurück zur Post.
    Drinnen entdeckt sie Mutter, läuft zu ihr und stellt sich neben sie.Doch Mutter bemerkt sie gar nicht; sie ist zu sehr damit beschäftigt, etwas in eines der besonderen Telefone zu diktieren: »Sei artig, liebste Veroschka, in Liebe, Mutter und Vater.«
    Nina macht auf dem Absatz kehrt und jagt aus dem Gebäude, hinaus in die grelle Septembersonne. Ihr Brustkorb fühlt sich ganz kalt an, und da ist ein Druck hinter ihren Augen. Einen Moment lang will sie schreien, laut schreien, es irgendjemandem, irgendwem erzählen. Diese schreckliche Täuschung, diese Lüge. Und dann ist da noch ein anderes, wundes Gefühl: dass Mutter Vera wirklich lieben muss, sehr lieben muss, um so etwas zu tun.
    Nina wartete vor dem Eingang und versucht, ihr wie wild klopfendes Herz zu beruhigen. Es ist gut, dass Vera weg ist, sagt sie zu sich selbst, damit sie ihr nicht erzählen kann, was sie weiß.
     
    Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Es klingelte nun alle paar Stunden, doch Nina ging nicht ran. Vermutlich wieder einer dieser Juweliere, die mit Antikschmuck handelten, niemand also, den sie sprechen wollte. Sie war zu erschöpft, um mit irgendjemandem zu sprechen. Die vergangenen Tage waren schlimm gewesen, und in den Nächten hatte sie kein Auge zugetan vor Schmerzen. Cynthia hielt sie weiterhin dazu an, ihre Medikamente zu nehmen.
    Von ihrem Posten am Fenster aus betrachtete sie die Szenerie, bergeweise Schnee nach dem Schneesturm am Wochenende. Die knorrigen Bäume entlang des Mittelstreifens, an denen noch immer die – nun reifbedeckte – Weihnachtsbeleuchtung hing, schienen zu zittern. Durch die Zweige hindurch konnte Nina auf die andere Seite der Avenue sehen, wo sich ein dichter Schneewall hinter den geparkten Autos auftürmte. Nina saß oft hier im Salon. Es war ihr Lieblingszimmer, wegen der großen Fenster und des guten Lichts – außerdem klang die Stereoanlage hier am besten. Störend war einzig der kalte Luftzug, der durch den Spalt über dem mittleren Fenster ins Zimmer drang. Das war nun schon seit zwei Jahren so, seit sich die obere Scheibe aus irgendeinem Grund ein paar Zentimeter abgesenkt hatte. Doch Nina hatte sich nicht die Mühe gemacht, jemanden davon zu unterrichten. In den wärmeren Monaten kümmerte es sie nicht,außer an windigen Tagen, denn dann klapperte die Jalousie unheilverkündend.
    Heute war die Jalousie ganz hochgezogen. Durch den Zwischenraum

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