Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
stehen müssen, fühlen sie sich wie am Beginn eines Abenteuers. Nur zwei Stationen entfernt verlassen viele der Fahrgäste den Wagen,und aus dem Lautsprecher folgt auf den Namen der Station eine längere Nachricht, die mit einigem Nachdruck verkündet wird. »Was sagen sie?«, fragt Polina nervös, doch die einzigen Worte, die Nina versteht, sind zwei, die ihre Truppe bei der kleinen Empfangszeremonie und dem offiziellen Abendessen am vorigen Tag mehrmals vernommen hat:
demokratische Sektoren
. Irgendetwas über die
demokratischen Sektoren
.
    Erst als die Türen sich wieder schließen, hat sie eine Idee, was die Mitteilung bedeutet haben könnte. Ihr Herz beginnt bei dem Gedanken zu rasen, und sie traut sich nicht, ihn auszusprechen, da der Wagen bereits mit einem Ruck angefahren ist. Der nächste Halt ist der, den der Ladenbesitzer ihnen genannt hat. Zusammen mit Vera und Polina drängt sich Nina zu den Türen vor und tritt hinaus auf den Bahnsteig.
    Oben betreten sie eine belebte Straße, die erstaunlich hell ist, obwohl der Himmel so grau und kalt ist wie zuvor. Neonlichter beleuchten die Schaufenster, und über ihnen hängen große, saubere Reklametafeln, wie Nina sie noch nie zuvor gesehen hat; selbst am Tag sind sie bunt und hell erleuchtet. Alles ist voller Menschen, und aus irgendeinem Grund sind sogar die Farben ihrer Mäntel und Hüte strahlender. »Das hat also die Durchsage in der U-Bahn bedeutet«, äußert sich Nina, obwohl auf Polinas und Veras Gesichtern abzulesen ist, dass sie es ebenfalls verstanden haben.
    »Wir dürfen hier nicht sein«, bemerkt Polina.
    »Wir wussten es ja nicht«, flüstert Vera, während sie mit weit geöffneten Augen alles um sich herum aufnimmt: die Menschen, die in entspanntem Tempo sorglos an ihnen vorbeilaufen, und dann die Gebäude, die zwar auch noch etwas baufällig sein mögen, aber sauberer und frei von Schutt sind und hinter deren Fenstern Licht brennt.
    »Da wir nun schon einmal hier sind, können wir uns auch schnell besorgen, was wir brauchen.« Nina versucht zuversichtlich zu klingen, obwohl sie in Gedanken die wiederholten Warnungen von Arwo und ihren ostdeutschen Gastgebern vernimmt, dass sie den demokratischen Sektor nicht verlassen dürfen, da sie sonst an jeder Straßenecke von Imperialisten entführt werden könnten. Mit erzwungener Ruhe in der Stimme liest Nina die Adresse des Ladens vor, währendVera den Stadtplan studiert. »Wir müssen hier lang«, erklärt Vera, als sie das Straßenschild entdeckt hat. Nina und Polina folgen ihr, Ninas Blick bleibt dabei auf ihren kleinen Stadtplan gerichtet. An der Straßenecke hält Vera jedoch an.
    Vor ihnen ist ein Gemüsestand aufgetaucht. Und ganz hinten liegt, wie einem Märchen entsprungen, ein Haufen leuchtend gelber Bananen.
    Polina und auch Vera können den Blick nicht davon abwenden, während Nina die ganze Umgebung auf sich wirken lässt, in der Menschen ruhig und völlig unbeeindruckt an den hellen Schaufenstern, den Reklametafeln und den Bananen vorbeigehen. Sie plaudern unbekümmert miteinander, haben entspannte Gesichtszüge und laufen mit raschem, optimistischem Geklacker ihrer Schuhe über die Bürgersteige …
    »Wir folgen nur einer Wegbeschreibung«, sagt Vera zur Rechtfertigung und wendet den Blick schließlich von den Bananen ab. Nina kämpft gegen den Drang an, von ihrem Geld keine Strumpfhosen, sondern diese herrlichen exotischen Früchte zu kaufen. Doch Polina deutet in Richtung einer schmalen Seitengasse. »Da ist es. Lasst uns reingehen.« Schließlich sind sie ja nur auf der Suche nach Tanzbedarf.
    Das Geschäft, das der Händler ihnen genannt hat, ist ein winziger Trödelladen ohne Schild. Darin finden sie alle möglichen Perücken und Strumpfhosen und Kostümmaterialien und Stoffe, die sie zu Hause noch nie gesehen haben. Nicht nur Modeschmuck, sondern auch echten; außerdem Parfüm und Kaffeebohnen und englische Zigaretten. Das Geschäft wird von einer älteren Frau geführt, die ihr Haar zu einem langen grauen Zopf geflochten trägt. Außer ihr ist niemand im Laden. Nina und die anderen verlieren sich eine ganze Weile in all den Dingen und rechnen träumerisch vor sich hin, bevor sie entscheiden, wofür sie ihr Geld ausgeben wollen. Nina geht schließlich zur Kasse und kauft einen Stoff für ihre Mutter, Zigaretten für Viktor und Strumpfhosen für sich selbst, während Vera und Polina noch die Stoffe durchsehen. Als die Frau Nina ihr Wechselgeld herausgibt, drückt sie ihr noch etwas

Weitere Kostenlose Bücher