Die Tänzerin im Schnee - Roman
Baltischem Bernstein* , ca. 1880. 19 mm Cabochon
mit Inkluse: Spinnentier, das einen Eikokon legt. Hoher Reinheitsgrad,
kleine oberflächliche Makel. Ovale Zargenfassung aus Gelbgold,
14 kt. Feingehaltspunze 56 Zolotnik, kyrillische Meistermarke
AB (Anton Borowoj, Moskau). Filigrankette, 76 cm lang, mit funktionsfähigem Federringverschluss. 50 000 –70000 Dollar
(*Dieses Stück gehört zwar nicht direkt zur Sammlung Nina Rewskajas,
doch wir haben Grund zur Annahme, dass die vollständige Garnitur
Teil eines ursprünglichen Sets von Anton Borowoj ist.)
KAPITEL 12
A n diesem Nachmittag war ein Brief von Shepley bei der Post. Er wählte immer große Grußkarten ohne Text, auf deren Vorderseiten Ölgemälde abgebildet waren. Diesmal handelte es sich um ein französisches aus dem neunzehnten Jahrhundert, das eine dunkelhaarige Frau in einem langen Kleid zeigte, die einen Sonnenschirm in der Hand hielt. Auf der Innenseite folgte dann Shepleys kleine, ordentliche Schrift:
Meine liebe Nina,
diese Frau sieht dir verblüffend ähnlich, findest du nicht? Robert hat das auch gesagt. Also, meine Liebe, ich muss meine Reise nach Boston verschieben, komme voraussichtlich im Mai. Der April ist geradezu lächerlich vollgestopft, und in der letzten Woche muss ich dann wirklich hier sein: Ich werde nämlich eine AUSZEICHNUNG bekommen. Nichts Glamouröses, nur etwas für »Lokalmatadore« – aber nicht hinzugehen wäre doch sehr unhöflich. Wünschte, ich könnte dich noch davor sehen. Ich hoffe, du stellst die Karte auf den Tisch unter den Bonnard-Druck. Wenn ich mich recht entsinne, passen die Farben perfekt zusammen.
Alles Liebe Shepley
Gegen ihren Willen runzelte Nina immer noch die Stirn, als sie ihren Rollstuhl auf die Wand zu bewegte, an der der Bonnard hing. Sie nahm sich nie die Zeit, dort hinzusehen, stellte aber die Karte so auf den Tisch, wie Shepley es vorgeschlagen hatte. Eine
Auszeichnung
, etwas für Lokalmatadore … So standen die Dinge also. So würde es sich abspielen. Es gibt ja wahrscheinlich auch Schöneres, als mich zu besuchen. Wer könnte es ihm verübeln? Eine
Auszeichnung
.
»Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«
Cynthia saß im Salon und las eine Zeitschrift, von der sie nun aufblickte, um Nina besorgt anzuschauen.
»Mir geht es gut.« Beim Reden fühlte es sich an, als würde ein spitzer Haken durch ihren gesamten Körper fahren.
Cynthia war nicht ganz überzeugt und zog die Augenbrauen zusammen; dann widmete sie sich wieder ihrer Zeitschrift. Sie las immer diese billigen, in denen sich Prominente aller Art tummelten. Mit ihrem schwachen, aber stolzen Akzent sagte sie: »Dieses Zeug hier lässt meinen Diamantring alt aussehen. Sie haben nie erwähnt, dass Sie so viele Klunker besitzen.«
So erfuhr Nina, dass Cynthia gerade den Auktionskatalog durchblätterte. Er war gedruckt worden und wurde nun öffentlich verkauft; Beller hatte Nina einen mit der Post geschickt. Erst jetzt bemerkte sie, dass er seinen Weg auf Cynthias Schoß gefunden hatte.
»Klunker. Nun, ich trage sie nicht mehr.« Der eisige Haken schlug wieder zu. Der Arzt erzählte Nina immer, er habe schon Schlimmeres gesehen. Eine Frau sei zwanzig Jahre lang so steif gewesen, dass sie ihren Körper nicht einmal weit genug beugen konnte, um in einem Rollstuhl zu sitzen, und daher den ganzen Tag auf ein Brett geschnallt daliegen musste. »Hausschuhe scheinen jetzt die passende Mode für mich zu sein.«
Cynthia lachte, vielleicht weil Ninas Beine so spindeldürr waren. »Also, ich kann mir ein paar von denen ganz prima an Ihnen vorstellen. Diese hier passen zu Ihren Augen.«
Nina sah nicht hin. »Sie dürfen das mit nach Hause nehmen.«
»Wirklich?«
»Sie dürfen es mitnehmen.«
»Glauben Sie, damit werden Sie mich los? Keine Chance, meine Süße. Ich warte immer noch darauf, dass Ihr Abendessen fertig wird.«
Zumindest hatte sie die Auktion nun bald hinter sich. Nur noch drei Wochen. Vielleicht würden die Erinnerungen sie dann endlich in Frieden lassen. Nina seufzte lauter als erwartet. Konnte man an Schmerzen sterben? Nina hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht, wie sie einmal sterben würde, obwohl sie über die Jahre Erinnerungen daran sammelte, wie verschiedene Freunde und Bekannte von ihr – in der letzten Zeit wurden es immer mehr – ihrem Ableben begegneten. Sophie,eine Tänzerin in Paris, war an Leukämie gestorben. Beatrice hatte Alzheimer, obwohl sie noch gar nicht alt war. Edmund war fit und munter
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