Die Tänzerin im Schnee - Roman
langer Strich, wo der Name des Vaters hingehört.« Die Schwester versteckt ihre Missbilligung nicht.
Vera, die in der Banja behauptet: »So viele Männer wollten mich heiraten …« Und wie bereit sie war, sich mit diesem schrecklichen Serge abzugeben. Als würde der Gersch jemals helfen. Serge, der Polina
wie eine heiße Kartoffel
fallenlassen hat … Aber nein, Vera würde doch sicher nicht …
so etwas
tun. Die ganze Wohnung für sich, seit Mutter ausgezogen ist … Im Grunde ist es einfach schon so lange her, seit Nina das letzte Mal mit ihr gesprochen hat, dass eigentlich jeder als Vater in Frage käme. Nina schüttelt den Kopf.
»So ist es. Auf der Krankenhausurkunde des kleinen Kerls hier ist kein Vater eingetragen«, wiederholt die Krankenschwester. Ein neues Gesetz hat uneheliche Kinder neu klassifiziert und aus ihnen damit Bürger zweiter Klasse gemacht.
Nina sieht den kleinen Jungen bestürzt an. Sie fragt die Schwester: »Wie heißen Sie?«
»Maria. Noch drei, dann habe ich hier meinen tausendsten Säugling gesehen.«
»Mhm.« Nina nickt, kann ihren Blick jedoch nicht von dem Kind abwenden, so süß und hilflos erscheint es ihr. Die Windel reicht ihm bis übers Kinn. Sie zieht das Tuch ein wenig herunter und deckt dabei den oberen Teil seines winzigen Musselinhemdchens auf. Ja, das ist eindeutig Veras Mund – nur winzig klein, feucht und perfekt; so perfekt wie seine Nase und seine Augen. Nina streicht dem Kleinen über die Wange. »Oh, er hat ja sogar ein Grübchen!«
Die Krankenschwester Maria fügt hinzu: »Wie ein Filmstar.«
Da krümmt er sich plötzlich zusammen und stößt einen Schrei aus. »Ich muss ihn jetzt zurückbringen.«
Sich immer noch windend, heult das Kind erneut auf. Es klingt wie der Schmerzensschrei einer Katze. Maria nimmt ihn von Ninas Arm und eilt aus dem Zimmer.
Vera, die mit geschlossenen Augen und flachem Atem daliegt, ist mittlerweile sogar noch blasser geworden, als hätte die Schwester ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt und damit alle Farbe aus dem Gesicht getrieben. »Veroschka, warum hast du mir denn nichts gesagt?«, fragt Nina und streichelt ihre Stirn. Veras Augenlider zucken, als wollte sie die Augen öffnen, dann schließen sie sich wieder ganz. Nina umschließt ihre Hand mit ihrer eigenen. »Du hättest das doch nicht tun müssen. Wolltest du es etwa?«
Vielleicht hat sie es erst bemerkt, als es schon zu spät war. Oder vielleicht wollte sie dieses Kind. Aber wie könnte sie, wenn dieser furchtbare Serge der Vater ist? … Nein, sie wollte das Kind sicher nur behalten, wenn es von jemandem stammt, den sie liebt. Nina beugt sich vor, bis ihr Mund direkt an Veras Ohr liegt: »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dir doch geholfen.«
Jetzt bewegen sich Veras Lippen. Worte, die zu leise sind, um sie zu verstehen. Nina bittet sie, das Gesagte zu wiederholen, wartet, doch Vera gibt keinen Ton mehr von sich.
Die Krankenschwester ist wieder zurück. Mit ernster Miene befühlt sie Veras Stirn. »Sie verglüht.« Sie dreht sich rasch zu Nina umund sagt: »Tut mir leid, aber Sie müssen später wiederkommen.« Sie hebt die Bettdecke an einer Seite an, um Veras Körper zu begutachten, und ruft dann in den Flur hinaus nach einer anderen Person.
»Aber … Wird sie wieder gesund?« Nina wird von einer herbeieilenden Ärztin und einer zweiten Krankenschwester beiseite geschoben.
Schnell ergreifen sie gemeinsam den Rahmen von Veras Bett und rollen sie zur Tür hinaus. Auf ihre Frage erhält Nina keine Antwort.
Drittes Buch
Los 100
Spangenarmband aus 18-kt.-Weißgold und Saphir. Breites Armband mit Saphiren im Cabochon-Schliff in Krappenfassung, Gewicht: 250ct., Länge: 18,1 cm, Bailey, Banks & Biddle. 5000 –7000 Dollar
KAPITEL 15
Z uerst dachte Maria, sie sei die Einzige, die die cremefarbene Handtasche bemerkt hatte. Butterfarbenes, weiches Leder, das konnte man schon daran erkennen, wie es sich am Verschluss, der aus zwei goldenen Häkchen bestand, die wie winzige Hände ineinandergriffen, in zarte Falten legte. Maria hatte ein Auge darauf geworfen, seit die Frau begonnen hatte zu bluten, als längst klar war, dass ihre Überlebenschancen nur gering sein würden. Aber dann kam der furchtbare Augenblick, in dem Maria merkte, dass auch die Pflegerin Lydia hinter der Tasche her war. Und diese wartete nur darauf, von irgendjemandem mitgenommen zu werden.
Jener Augenblick kommt Maria nun wieder in den Sinn, als sie flink aus der Entbindungsstation
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