Die Tänzerin im Schnee - Roman
Fehler machten und aus Beziehungen ausbrachen, die sie geschworen hatten bis an den Rest ihres Lebens zu führen.
Es half ihr außerdem, dass Eric sich endlich aufgerappelt hatte. Nach zwei Jahren eisigen Schweigens und einer kurzen Flut wütender Briefe hatte er ihr eine E-Mail geschrieben, um ihr mitzuteilen, dass er sich verliebt habe. Als Anspielung auf seine damalige Überzeugung, dass einzig irgendeine Form von Geisteskrankheit dafür verantwortlich gewesen sein könne, dass Drew ihre Ehe beendete, beschrieb er seine neue Freundin als »verlässlichen Menschen«, der »geradlinig« und »gut organisiert« sei. Vergangenen Monat war Drews Mutter dann – die sowohl aus Sentimentalität als auch aus Liebe weiterhin mit ihrem Schwiegersohn in Kontakt stand und von Zeit zu Zeit versehentlich etwas ausplauderte – herausgerutscht, dass Eric einen neuen Job angenommen hatte und nach Seattle ziehen würde und dass ihn das Organisationstalent begleiten würde.
Und so wurde Drew nur um so deutlicher bewusst, dass die Zeit verging und dass sie, ohne es recht bemerkt zu haben, den Übergang vom »Mädchen« zur »Frau« vollzogen hatte – wenngleich sie auch keine bedeutenden Fortschritte oder neuen Weisheiten vorzuweisen hatte. Seit ihrem Umzug nach Boston wohnte sie in einem winzigen Apartment in Beacon Hill, dessen Miete, einem Aderlass gleich, langsam, aber stetig erhöht wurde, ungeachtet der Tatsache, dass die Holzdielen von Jahr zu Jahr mehr splitterten und sich die Flecken an den Wänden und Risse in den Decken stetig mehrten. Der Einzug in das alte Gebäude hatte ihren Neuanfang perfekt gemacht, war so ganz anders als die blitzende Wohneinheit in Hoboken mit all den Hochzeitsgeschenken: gezwirnten Makosatin-Laken, dicken Handtüchern aus ägyptischer Baumwolle, Laguiole-Messern, einer Cappuccino-Maschine, die Eric und sie nie benutzt hatten. Ihre »neue« Einrichtung hatte Drew gebraucht gekauft: klobige Stühle aus stark gemasertem Holz, einen Tisch, dessen eine Ecke mit grauer Farbe bespritzt war, einen Satz nicht zusammenpassenden Bestecks, das sie, mit einem Gummi zusammengebunden,bei einem Garagenverkauf entdeckt hatte. Von Fernseher und Auto hatte sie sich getrennt. Drew gefiel dieses abgespeckte Leben, und es war der Beweis – für Eric und alle anderen –, dass es wirklich keinen anderen gab, dass Drew ihre Ehe nicht wegen eines anderen, besseren Fangs beendet hatte. Und es war der Beweis – für Drew selbst –, dass es richtig gewesen war zu gehen; sie brauchte niemand anderen, brauchte überhaupt kaum etwas. Sie war stolz auf ihre Unabhängigkeit, stolz darauf, dass sie defekte Sicherungen selbst auswechseln konnte, stolz auf ihr einfaches Geschirr, ihr Bücherregal vom Sperrmüll, ihre Geschirrtücher und Weingläser vom Flohmarkt.
Jen nannte es Selbstbestrafung. Doch Drew mochte das Einfache und Ruhige an ihrem heruntergeschraubten Leben. Man brauchte, so sah sie es heute, nur wenige Besitztümer, ebenso, wie man nur ein paar enge Freunde brauchte, eine einzige Leidenschaft – bei der es sich noch nicht einmal notwendigerweise um einen Menschen handeln musste. Obwohl sie sich bei ihrem Einzug eine dicke, dunkelviolette Baumwoll-Tagesdecke gekauft hatte, waren ihre Hoffnungen in diesem Bereich eher gering. Zwar glaubte sie nach wie vor an die Liebe – jedoch nicht mehr für sich selbst. Und während sie ihr Bett in den ersten Jahren noch mit dem einen oder anderen durchaus netten Mann geteilt hatte, betrachtete sie ihre Wohnung inzwischen als einen Ort der Einsamkeit und Stille. Die Tagesdecke war zu einem gräulichen Purpur verblasst. Jedes Mal, wenn Drew das Bett frisch bezog, sagte sie sich, dass es Zeit war, eine neue zu kaufen.
Tatsächlich hatte sie stets das Gefühl, dass sie etwas von den meisten Menschen trennte. Selbst in ihrer Ehe hatte es sich nie angefühlt, als ob sie Teil eines Teams war, als ob Eric und sie Partner waren. Zu den meisten ihrer vielen gemeinsamen Freunde vom College hatte Drew nach der Trennung den Kontakt abgebrochen. Bis heute hatte sie manchmal – wenn sie in der überfüllten U-Bahn saß oder an dem engen Tresen im Sandwich-Shop zu Mittag aß oder gemütlich am Charles River entlangjoggte (zwei Mal pro Woche, außer im Winter)– nicht nur das Gefühl, von Fremden umgeben zu sein, sondern fand sich gar selbst befremdlich; sie war der Meinung, dass sie irgendetwas davon abhielt, die Lücke zwischen ihr und all den anderen Menschen,die sich durch denselben
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