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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Tag kämpften wie sie, jemals vollständig zu schließen.
    Jen zufolge lag all das in dem Umstand begründet, dass Drew ein Einzelkind war, unabhängig und daran gewöhnt, Dinge allein zu tun. Sie war ohne die Nähe von Geschwistern aufgewachsen, mit denen sie neben Geheimnissen auch die Gene teilte. Und im Gegensatz zu ihrer Mutter, die ihr einst sehr nahegestanden hatte, war ihr Vater ein ruhiger, nicht unbedingt gesprächiger Mensch gewesen; erst seit Drew das College beendet hatte und Teil der arbeitenden Bevölkerung geworden war, schien es ihm zu behagen, längere Gespräche mit ihr zu führen und sie in allen Einzelheiten zu ihrem Beruf zu befragen – wie einen Tischnachbarn oder jemanden, der zufällig im Flugzeug neben ihm saß. Aus all diesen Gründen – postulierte Jen in ihrer nüchternen Art – hatte oder zeigte Drew kaum das Bedürfnis nach Gesellschaft. Nun ja, dachte Drew, vielleicht war da ja was dran. Sie wandte sich wieder ihrem Computerbildschirm zu.
     
    Prospekt: Geschichte und Einzelheiten zu den Schmuckstücken
    (von Drew Brooks, Associate Director Abteilung Schmuck)
     
    Zu jener Zeit, als Nina Rewskaja dem Ballettensemble des Bolschoi-Theaters angehörte, führte die Sowjetregierung über ganze zwei Drittel der Bevölkerung Akten. Als sie die UdSSR später verließ, waren beinahe fünf Millionen Bürger im Auftrag dieser Regierung getötet worden. Man ist erschüttert angesichts dieser Zahlen. Und dennoch führte Rewskaja bei ihrer Flucht Schmuckstücke von unendlicher Schönheit mit sich, die –
     
    Drew hielt inne und suchte nach den nächsten Worten. Das Problem war, dass sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Sie vermutete, dass es viel zu sagen gab – trotz Nina Rewskajas beharrlicher Aussage, sie könne mit keinerlei Informationen dienen. Es war lachhaft, wirklich. Besonders, wenn sie im gleichen Atemzug sagte, dass Tänzer ein so gutes Gedächtnis hätten und sie bis heute ganze Ballettstücke im Kopf hätte … Drew rief sich ihre Stimme in Erinnerung, die steigende Intonation, das hart gerollte R und die nasal gesprochenen Vokale– wenngleich sie beinahe akzentfrei und nahezu perfekt Englisch sprach. Es war diese Verschwiegenheit, gepaart mit dem plötzlichen Auftauchen von Grigori Solodins passendem Bernsteinanhänger, aus der Drew schloss, dass mehr hinter Nina Rewskajas Geschichte steckte, als diese zugeben wollte.
    Ganz abgesehen davon, dass ihr auch Grigori Solodin Rätsel aufgab. Ein großer Mann, schlank und dennoch auf gewisse Weise massiv, mit nachdenklicher Stirn und ebensolchen Augen. Volles, ein wenig strubbeliges Haar, wie das eines kleinen Jungen. Selbst jetzt sah Drew seinen festen, geradezu angespannten Kiefer vor sich, sein prägnantes Gesicht und die entschlossene Mundpartie; vielleicht lag es daran, dass er eine andere Sprache sprach. Er hatte einen leichten, eigenartigen Akzent, weniger russisch als vielmehr etwas, das Drew nicht einordnen konnte. Auf ihre Frage, ob er im Besitz irgendwelcher Unterlagen sei, die seine Behauptung, der Anhänger habe Nina Rewskaja gehört, bekräftigten, hatte Grigori Solodin die Lippen fest aufeinandergepresst, fast so, als würde er sich darauf beißen, wobei sich seine hintere Kieferpartie anspannte, so dass sich so etwas wie Grübchen bildeten. »Bedauerlicherweise besitze ich keine Unterlagen.«
    Doch Drew war heikle Situationen wie diese gewohnt. Es war Teil dessen, was sie am Auktionswesen liebte, die Geheimnisse hinter und Dramen um den wirklichen Maler eines Porträts, den ursprünglichen Erbauer eines Klaviers, die widersprüchlichen Versionen einer Familiengeschichte, erzählt von Schwestern, die die Flakonsammlung ihrer verstorbenen Tante oder den Humidor des Vaters gefüllt mit heiß begehrten Zigarren verkauften. Was war es also, das Grigori Solodin davon abhielt, mehr über die Umstände zu verraten, die die Kette in seinen Besitz gebracht hatten? Als Drew ihn unter vier Augen in einem der kleinen Besprechungszimmer freundlich und ohne Unterton danach gefragt hatte, hatte er lediglich geantwortet, dass der Anhänger an ihn weitergegeben worden sei. »Die Kette befand sich zeitlebens in meinem Besitz. Doch aus verschiedenen Gründen, und insbesondere nachdem ich Nina Rewskajas Bernsteinohrringe und ihr Armband gesehen habe, bin ich davon überzeugt, dass auch die Kette einst ihr gehörte. Oder vielmehr zu demselben Bernsteinset.«
    Drew fragte sich, wie alt er wohl war – Ende vierzig, Anfang fünfzig?

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