Die Tänzerin im Schnee - Roman
die Sowjetunion verließ.«
»Die Gutachter überlegen, ob die Stücke vielleicht ein Geschenk waren oder etwas, das in der Familie weitergegeben wurde. Und dass sie vielleicht zu irgendeinem Zeitpunkt aufgeteilt wurden.«
Mit fester Stimme sagte Nina: »Dann werden die Gutachter wohl recht haben.«
»Nun ja, das ist das Problematische an Bernstein. Da die Perlen auf natürlichem Weg geformt werden, nicht von einem Juwelier, ist es beinahe unmöglich festzustellen, welche Stücke einmal zu derselben Kollektion gehört haben. Einige Stücke – insbesondere die exquisiteren – könnten im Archiv des Herstellers verzeichnet sein, doch ohne diese Angaben oder eine Seriennummer können wir keine hundertprozentigen Aussagen treffen.«
Ninas Atemzüge wurden ruhiger. »Ich kann zu all dem nichts sagen.«
»In Ordnung.« Drews Stimme klang erstaunlich entschlossen. »Ich musste einfach nachfragen, für den Fall, dass Sie es … vergessen haben.«
Nina spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. »Ich bin vielleicht alt, aber ich bin nicht senil.«
»Nein, nein, natürlich nicht, ich wollte Sie nicht …«
»Sie sollten wissen, Miss Brooks, dass Tänzer nichts vergessen. Wir müssen uns alles merken.« Sie sprach davon, was sich der Körper, die Muskeln zu merken hatten, ganz im Unterschied zu dem, worauf Drew Brooks anspielte – doch Nina wollte sie in ihre Schranken weisen. »Ich weiß bis heute ganze Ballettstücke auswendig. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, woher mein Schmuck stammt.«
»Ja, natürlich.« Ein tiefer Atemzug. »Also gut. Ich wollte einfach nur nachfragen, ob Sie sich zufällig an etwas erinnern können. Falls dem so ist, lassen Sie es uns bitte wissen.«
»Natürlich.«
»In der Zwischenzeit werden unsere Gutachter ihr Möglichstes tun, um festzustellen, woher dieses zusätzliche Schmuckstück stammt, und sehen, ob sich die Behauptung des Besitzers erhärtet – was sehrwahrscheinlich scheint, bei derart untypischen Fassungen. Ist das Ergebnis positiv, würden wir den Anhänger gern in den Katalog aufnehmen. Mit der Anmerkung, versteht sich, dass es sich hierbei um ein Stück handelt, das kurzfristig beigesteuert wurde und das offenbar Teil Ihrer Kollektion ist, sich jedoch nicht in Ihrem Besitz befand.«
Nina sagte nichts.
»Unsere Gutachter sind wirklich sehr gut.«
»Ich bezweifle nicht, dass sie gut ausgebildet sind. Aber ich weiß auch, dass Menschen« – sie zögerte kurz, um nach einer Formulierung zu suchen – »unbeabsichtigt Fehler machen.«
Drew schwieg einen Moment. Als sie dann etwas sagte, klang ihre Stimme plötzlich vergnügt. »Wissen Sie, es ist ein wirklich bemerkenswertes Stück. Ebenso außergewöhnlich wie Ihr Armband und die Ohrringe – diese besonderen Fassungen. Und mit einem ausgesprochen beeindruckenden Einschluss. Es wird neben Schmuckliebhabern ganz bestimmt auch Sammler anlocken. Wodurch sich der Kreis unserer Bieter erheblich erweitert. Ganz zu schweigen von dem höheren Preis, den etwas derart Seltenes erzielen wird. Für die Stiftung, meine ich.« Sie wartete auf eine Reaktion. »Und ich muss Ihnen bestimmt nicht sagen, dass der Wunsch des Schenkers, anonym zu bleiben … Nun ja, so etwas fasziniert die Öffentlichkeit eben. Es wird der Auktion auf alle Fälle jede Menge Aufmerksamkeit bescheren. Und mehr Bieter, versteht sich. Was wiederum mehr Geld für die Stiftung bedeutet.«
Nina war klar, worauf das Mädchen hinauswollte. »Ja, natürlich«, sagte sie schwach und fügte dann, so schnell sie konnte, hinzu: »Auf Wiederhören.«
Drew vernahm das wenig schmeichelhafte Tuten und legte auf. Sie atmete einmal tief und langsam durch und wischte mit einer kleinen, unbewussten Bewegung einen Tropfen Kaffee vom Rand ihres Bechers. Sie hütete sich, irgendetwas hiervon persönlich zu nehmen.
Einfach war es jedoch nicht. Das Rewskaja-Projekt bedeutete ihr mehr als gewöhnlich, nicht nur aufgrund ihrer Liebe zum Ballett. Da war außerdem noch dieser ominöse, ins Leere laufende Ast in ihrem Stammbaum, der bis heute mit einem dicken Fragezeichen versehenwar. Es störte sie daher nicht allzu sehr, dass die ganze Arbeit (ja, die
ganze
Arbeit) wie immer an ihr hängen blieb, während sich Lenore unbekümmert treiben ließ. Drew beschwerte sich nur selten darüber; Dinge wie diese waren es nicht wert, den Job zu riskieren. Solange sie ihre Arbeit weiterhin gern tat, war sie der Meinung, dass sie ruhig einen Schritt zurücktreten und, aus dieser
Weitere Kostenlose Bücher