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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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perfekt sitzenden Kleid so ganz anders aussieht als die pelzbehangenen Russinnen in samtenen Abendroben. »Kennst du irgendwen?«, fragt Polina und reckt das Kinn.
    »Nein. Ach doch, Arkadi Lowni ist hier.« Der Assistent des Kulturministers. Ein Gesicht wie die fetten gekochten Schinken im Gastronom. Er trägt immer ein unerklärliches Lächeln vor sich her, als hätte er gerade gute Neuigkeiten gehört, aber zugleich zittern ihm, wie Nina bemerkt hat, fortwährend die Hände. Gerade kommt er strahlend auf die beiden zu.
    »Guten Abend, die Damen!« Er streicht sich mit einer zitternden Hand die Haare aus dem Gesicht. »Ach, Sie sind es!«, gibt Polina freudig zurück. Sie ist offenbar erleichtert, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Kurz darauf sind die beiden in ein lebhaftes, oberflächliches Geplänkel verwickelt, und Polina errötet so, dass man ihre Sommersprossen nicht mehr sieht. »Oh, aber natürlich sind Sie das!« – »Bin ich nicht.« – »Wenn ich es doch sage!«
    Nur ein paar Schritte von Nina entfernt sind noch zwei Pärchen in ein Gespräch vertieft, von denen die eine Frau ihr bekannt vorkommt. Es ist Ida Tschernenko, die berühmte Tierbändigerin; älter als auf den Plakaten. Die andere, jüngere Frau, mit einer ansehnlichen Büste und welligem goldenem Haar, stützt elegant eine Hand oberhalb der Hüfte ab, um ihre schlanke Taille zu betonen. Wie die meisten Damen im Saal trägt sie einen protzigen ovalen Ring am Zeigefinger und eine Bernsteinkette.
    Der Mann neben ihr wirkt anders als die anderen, jünger und nicht so gedrungen, eher hochgewachsen, gar nicht wie ein typischer Moskowiter. Er erzählt gerade einen Witz; das erkennt Nina daran, wie Ida und der andere Mann in Erwartung einer Pointe schon beim Zuhörendie Mundwinkel nach oben ziehen und die Augen zusammenkneifen. Ida trägt eine gewaltige Brosche auf der Brust, und als der Witz auserzählt ist, lacht sie so sehr, dass das Schmuckstück wild auf und ab wippt wie ein winziger abgetrennter Kopf.
    »Genug, genug«, japst der andere Mann mit vor Lachen und vom Trinken gerötetem Gesicht. »Ihre Witze ruinieren mir noch die Leber.«
    Die jüngere Frau lächelt nur vornehm und amüsiert. Der gutaussehende Mann muss wohl ihr Ehemann sein. Kantige Kieferknochen, Adlernase und dichtes, glänzendes braunes Haar. An seiner hageren Gestalt wirkt der ausgebeulte Anzug eher raffiniert als schlecht geschnitten. Sicher war er nicht im Krieg; dafür sieht er zu gesund und zufrieden aus.
    Jetzt hat er bemerkt, dass Nina ihn anstarrt. Er blickt auf und wirkt freudig überrascht. Als er ansetzt, etwas zu sagen …
    »Nein, wie schön, dass Sie noch da sind!« Lida Markowa, die Leiterin des Staatlichen Archivs für Literatur und Kunst, baut sich vor Nina auf und strahlt sie an. Sie ist von massiger Statur, mit struppigem Haar und einer durchdringenden Stimme; von ihren dicken Ohrläppchen baumeln Glasperlen. Lida liebt das Ballett und sucht immer die Gesellschaft der jüngeren Tänzerinnen, die noch nicht so unnahbar sind wie ihre erfahreneren Kolleginnen. »Es war einfach wundervoll, Sie tanzen zu sehen.«
    »Ich danke Ihnen. Schön, Sie zu sehen.« Nina versucht, an Lida vorbei einen Blick auf den Unbekannten zu erhaschen.
    »Und Ihr Auftritt in der
Coppélia
letzten Monat war einfach umwerfend. Sie schweben ja geradezu.« Nina hat die »Priere«-Variation getanzt, träumt aber davon, eines Tages Swanilda verkörpern zu dürfen. »Es ist mein Lieblingsstück, wissen Sie? Weil es so ein glückliches Ende hat. Vielleicht ist das dumm von mir, aber wünschen wir uns nicht alle ein glückliches Ende, wenn wir ehrlich sind?«
    »Aber ja!« Nina lacht, aber sie ist zutiefst enttäuscht, als sie mit einem Blick über Lidas Schulter bemerkt, dass der gutaussehende Fremde verschwunden ist.
    »Es ist so herrlich komisch«, fährt Lida fort. »Sogar der Bösewicht ist am Ende zufrieden.«
    Lida verströmt denselben Duft wie die Frau des Ministers. Einen schweren Geruch wie von welken Blumen und überreifen Früchten. Irgendetwas daran ist Nina vertraut.
    »Oh«, sagt Lida, »mein Mann winkt mir zu kommen.« Sie nickt ihm zu, und das Pelztier auf ihrer Schulter nickt mit. Unwillkürlich fällt Nina auf, dass es leicht verwest aussieht.
    Daran hatte sie der Geruch erinnert – an tote Nagetiere.
    Bestürzt sieht Nina zu Boden und streichelt den geliehenen Pelz auf ihren eigenen Schultern.
    »Ich muss los«, raunt Lida hastig.
    »Schon?« Nina hat noch nicht einmal mit

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