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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatte. Sie schämte sich ihrer Verwirrung.
    »Das passiert öfter mal«, fuhr Drew fort. »Auch mit Tsavoritschmuck, zum Beispiel. Der kommt uns ziemlich häufig unter.«
    Ninas Kehle war wie zugeschnürt. Natürlich fragte sie sich, ob Viktor es gewusst hatte. Sibirischer Smaragd … Oder hatte er selbst geglaubt, die Steine seien echt?
    »Ist alles in Ordnung?« Drews Stimme drang laut an ihr Ohr. »Sind Sie noch da?«
    »Es gibt keinen Grund zu schreien.«
    »Ich frage ja nur.« So wie sie das sagte, klang es fast, als würde sie im nächsten Moment anfangen zu lachen. Selbst als sie vor kurzem zu ihr gekommen war, um sich Namen aus Viktors Familie geben zu lassen, schien es ihr kaum etwas auszumachen, dass Nina ihr nur einen einzigen bieten konnte. Nina hatte ihn säuberlich in kyrillischen Buchstaben aufgeschrieben und erklärt, dass sie außer ihrer Schwiegermutter niemanden aus Viktors Familie mütterlicherseits kennengelernt hätte und auch von den Vorfahren seines Vaters nichts wüsste. Drew hatte dennoch zuversichtlich gewirkt, als sei sie fest überzeugt, mit ihrer Wissbegierde am Ende doch noch zu bekommen, was sie wollte.
    »Außerdem wollte ich Sie noch an die Materialien für die Beilage erinnern«, sagte sie jetzt, »über die wir neulich gesprochen haben. Was die Bebilderung angeht, hätte ich am liebsten Fotos von Objekten, die irgendwie mit den Juwelen zu tun haben. Ideal wären persönliche Erinnerungsstücke. Vielleicht haben Sie zum Beispiel noch die Grußkarte zu einem der Schmuckstücke, die Sie geschenkt bekommen haben? Oder ein Foto von jemandem, der sie Ihnen geschenkt hat? Wir könnten sie scannen und digitalisieren.«
    Schon wieder diese digitalen Bilder. Das griff ja um sich wie die Pest.
    »Wie bitte?«, fragte Drew.
    »Ich fürchte, damit kann ich nicht dienen.«
    Drew schien noch auf irgendetwas zu warten. »Gut, ja, es muss jaauch gar nicht direkt mit dem Schmuck zu tun haben. Es könnte auch eine Erinnerung an das Ballett sein. Oder an Ihren Umzug nach Boston. Oder einfach Namen von Leuten aus der entsprechenden Zeit. Ich werde mich inzwischen in den Bildarchiven umsehen. Es ist ja nur, weil das Interesse der Öffentlichkeit so groß ist.«
    »Schön«, sagte Nina, um das Gespräch endlich zu beenden.
    Drew dankte ihr, betonte, wie begeistert sie von diesem Projekt sei, und wünschte ihr einen guten Abend. Aber in Nina blieb, als sie den Hörer auflegte, ein Gefühl der Verärgerung und Resignation zurück.
    Sibirischer Smaragd.
    Das war eben das Problem mit diesem Auktionshaus, diesem Katalog, den Gutachtern – sie brachten viel zu viel Unangenehmes ans Licht.
     
    Das letzte Aufbegehren herbstlicher Wärme, der letzte blassrosa Phlox, und die Straßen gelb gesprenkelt vom fallenden Laub. Verschwitze Hände auf den Ballettstangen, endlose Übungsstunden am Morgen und Proben am Nachmittag, das ewige Warten auf den Abend. Nina sitzt vor der zweiten Aufführung der Saison in der Garderobe, hat ihre Füße auf Polinas Stuhl gelegt und sieht dabei zu, wie Vera ihre Wimpern mit kleinen Perlen verziert. Das hat sie von einer Tänzerin am Kirow gelernt. Sie hält einen winzigen Tiegel, nicht größer als ein Esslöffel, über eine Kerze und erhitzt darin einen Klumpen schwarzer Schminke, bis er schmilzt. Dann taucht sie ein Holzstäbchen in die Masse und tupft ein Tröpfchen davon auf die Spitze einer ihrer oberen Wimpern. Dort bleibt es als kleines schwarzes Kügelchen kleben.
    »Ziemlich mühsam«, sagt Vera und taucht wieder das Holzstäbchen in den Tiegel. »Aber es ist die Mühe auch wert. Besonders an einem Tag wie heute.« Die Prima Ballerina Assoluta des Bolschoi, Galina Ulanowa, ist heute krank, und ihre Rolle – das erste Stück der Saison ist der
Schwanensee
– ist zweigeteilt worden: Vera soll die Schwanenkönigin Odette tanzen und Nina ihre böse Doppelgängerin Odile. »Ich kann dir deine auch machen«, sagt Vera, »falls du es mal probieren willst.«
    »Ach, ich weiß nicht.« Heiße Flüssigkeiten so dicht am Auge …Nina würde es nicht laut aussprechen, aber sie fühlt sich gekränkt, weil die Direktion es ihr offenbar nicht zutraut – genauso wenig wie Vera –, die ganze doppelte Hauptrolle zu tanzen. Vertrauen sie nicht auf Ninas elegante Bourrées und Battements, ihre doppelten Pirouetten und Arabesquen
en diagonale
, auf ihre Gabe, jedem kleinen Stimmungswechsel in Tschaikowskis Musik zu folgen? Der Ballettmeister hat die Rollen mit ihnen eingeübt und ihnen

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