Die Tänzerin von Darkover - 9
länger aus.
Und wenn sie davonlief? Könnte sie die Schande ertragen? Aber welche Schande könnte schon schlimmer als ihr gegenwärtiges Los sein? Früher hätte sie nicht einmal daran zu denken gewagt, ihre Familie derart zu kompromittieren. Ihre Familie? Welche Familie?
Schließlich hatte ihr eigener Vater sie in diese Lage gebracht. Die ganze Zeit hat er so getan, als ob er mich liebt und stolz auf mich sei, und dann wirft er mich und mein Glück diesem Kerl zur Heirat vor. Ich darf nicht an ihn denken. Ich bin jetzt auf mich selbst gestellt. Ich muß nur an mich und mein Kind denken.
Caillen schmiedete Fluchtpläne. Meloria und ihre Gesellschaft würden bald zurückkommen. Natürlich konnte sie sich ihnen nicht offen anschließen, aber wenn sie ihnen heimlich nach Aillard folgte, würde Meloria sie aufnehmen und beschützen. Sie könnte sich auf Aillard so lange versteckt halten, bis das Kind zur Welt kam. Und dann …?
Damals beim Waldbrand hatte sie einige Frauen der alten Schwertschwesternschaft getroffen. Man sagte, daß sie vom Comyn-Rat einen Freibrief erhalten hatten, der ihnen gestattete, als Frauenorden zusammen zu leben und ihren Unterhalt zu verdienen.
Ihnen würde sie sich anschließen, falls der Orden sie und das Kind aufnehmen würden.
Und wenn es ein Junge wird? Werden sie mich dann akzeptieren?
Niemals! Caillen schob ihre Zweifel beiseite. Der Falke soll fliegen, wenn er flügge ist. jetzt muß ich erst einmal fort von hier. Das Kind, ob nun Junge oder Mädchen, wächst besser ohne einen solchen Vater auf, selbst wenn es in Armut und Schande geschieht.
Sie machte sich daran, ihre Sachen zu sortieren. Was würde sie benötigen? Was konnte sie zurücklassen?
Und so war sie bereits gerüstet, als drei Tage später aus Asturias eine unerwartete Nachricht eintraf. Caillen kannte den Boten, der ihrem Vater lange Jahre gedient hatte. Die Tränen in seinen Augen verrieten ihr, noch ehe er die rechten Worte fand, daß Dom Aldric von ihnen gegangen war.
»Er ist von seinem Pferd gestürzt, Caillen – Verzeihen Sie, ich muß jetzt wohl Domna sagen. Aber seine Zeit war gekommen, sonst hätte er sich sicher im Sattel seines alten Groby gehalten. Wir nehmen an, daß es ein Schlaganfall war. Jedenfalls starb er schnell und schmerzlos.«
»Dafür sei Avarra gedankt«, flüsterte Caillen. Aber selbst jetzt, da der Schmerz sie überwältigte und jede andere Regung zu ersticken drohte, verspürte sie auch so etwas wie Zorn. Wie konnte ihr Vater sie nur so völlig im Stich lassen? Zuerst zwang er ihr diese verhaßte Heirat auf – und dann stahl er sich aus dem Leben, bevor sie ihn zur Rechenschaft ziehen konnte.
Sie hatte sich zwar einzureden versucht, daß sie dem Elend von Elhalyn entfliehen und ganz allein der Welt trotzen könne, aber jetzt erkannte sie, daß sie insgeheim auf Asturias als Zufluchtsstätte gezählt hatte, so lange ihr Vater noch am Leben war. Und wenn schon nicht für sich, so doch zumindest für ihr Kind.
Jetzt bin ich wirklich ganz allein. Natürlich liebt mich Corys, aber was kann er schon tun? Er ist doch noch ein Kind, gerade erst zwölf, und wird noch jahrelang unter Vormundschaft stehen. Sie hoffte inständig, daß ihr Vater nicht Raul, sondern jemand anderen zum Vormund bestellt hatte; sonst würde auch das Haus, in dem sie als Kind glücklich gewesen war, zu Grunde gerichtet.
»Ich muß meinem Bruder zur Seite stehen«, erklärte sie entschieden, und unter diesen Umständen fand selbst Raul keinen Grund, der sie davon abhalten konnte.
Corys empfing sie im Burghof von Asturias. Das letzte Mal hatte sie ihn anläßlich ihrer Vermählung gesehen. Er war groß geworden. Die verflossene Zeit, der jüngste Schmerz, die neue Verantwortung – all das ließ ihn um so vieles erwachsener erscheinen. »Ich habe deine Ankunft gespürt, Schwester.« Er umarmte sie. »Könnte das schon mein Laran sein, oder habe ich dich einfach nur so sehr herbeigesehnt?«
Sie begaben sich in die Hauskapelle und unterhielten sich über alles, was ihnen in den Sinn kam. »Du erwartest also ein Kind? So schnell geht das! In diesem einen Jahr sterben dein Schwiegervater und unser Vater – ich werde Aldric immer als meinen wirklichen Vater in Erinnerung behalten – und jetzt kommt eine neue Generation. Sag mir, Caillen, bist du in Elhalyn glücklich? Nein, warte, du brauchst nicht zu antworten. Die Frage war töricht. Wie könntest du jetzt von Glück sprechen?«
Nach langem Schweigen fragte sie
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