Die Täuschung
schon den Rücken.
»Ein richtiger Schock, nicht wahr?«, sagte die junge Frau, die Eli Kuperman Larissa genannt hatte. Ich stand da und schaute in ihre riesengroßen schwarzen Augen, die in einem so ausgeprägten Kontrast zu dem merkwürdig schönen Silber des Haares standen, das ihr Gesicht umrahmte. Bereits ziemlich von ihr hingerissen, konnte ich auf ihre Feststellung lediglich zustimmend nicken. Meine unausgesprochene Neugier musste mir jedoch ins Gesicht geschrieben gewesen sein – warum, dachte ich, sollte jemand, der solch ein Gefährt bauen konnte, freiwillig in einer derart ungemütlichen Atmosphäre leben? –, denn die Frau beeilte sich zu erklären: »Meinem Bruder ist es als bisher Einzigem gelungen, Supraleiter zu entwickeln, die bei für Menschen halbwegs erträglichen Temperaturen arbeiten – aber wir müssen den größten Teil des Schiffes trotzdem auf mindestens 7 Grad Celsius kühlen.« Sie steckte ihre bemerkenswerte Waffe in ein Halfter an der linken Seite, schenkte mir ihr bezauberndes Lächeln und hängte sich dann bei mir ein. »Sie müssen sich unbedingt warm halten, Dr. Wolfe …«
Bevor ich die Frage, wo wir uns befänden, formulieren konnte, steckte Eli Kuperman sein sympathisches, bebrilltes Gesicht zwischen uns und zupfte breit grinsend an einem der mit Overalls bekleideten Männer, die während unserer Flucht in der Luke gewartet hatten. Der zweite Mann verfügte über beinahe die gleichen Züge wie Kuperman, trug aber keine Horn-, sondern eine Nickelbrille: Dies war offenbar der bei Max’ Internetsuche unerwähnt gebliebene Zwillingsbruder, der Archäologe.
»Wie ich sehe, haben Sie Larissa bereits kennen gelernt, Dr. Wolfe«, sagte Eli Kuperman fröhlich. »Und das hier ist mein Bruder Jonah …«
Jonah Kuperman streckte mir seine Hand hin. Er hatte das gleiche einnehmende Wesen wie sein Bruder. »Dr. Wolfe, es ist mir ein Vergnügen. Wir haben uns schon auf Ihr Kommen gefreut. Ihr Buch war in den letzten Wochen der Hauptgesprächsstoff an Bord …«
»Und das da«, sagte Eli und zeigte auf die beiden Männer, die weiter vorn im Gang standen, »sind Dr. Leon Tarbell, der Dokumentenexperte« – ich schüttelte einem kleinen, drahtigen Mann mittleren Alters die Hand, dessen rote Augen selbst dann durchdringend glühten, wenn er lächelte – »und Professor Julien Fouché, der Molekularbiologe.« Ein stämmiger, etwa sechzig Jahre alter Mann mit grauem Bart trat vor, und mein Herz setzte einen oder zwei Schläge aus: eine verständliche Reaktion, wenn man jemandem begegnet, der nicht nur einer der fruchtbarsten Denker unserer Zeit, sondern auch vor vier Jahren angeblich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.
»Das ist doch unmöglich«, flüsterte ich und schüttelte seine große, sehr lebendige Hand. »Sie … Sie sind tot!«
»Gar so tot nun auch wieder nicht«, antwortete Fouché mit einem schroffen Lachen. »Eine notwendige List, um mein plötzliches Verschwinden zu erklären. Ich habe fast nur noch mit Malcolm und Larissa gearbeitet, und es gab unangenehme Fragen …«
»In Ordnung, Gentlemen«, sagte Larissa. »Ihr habt später noch Zeit, euch gegenseitig zu bewundern. Jetzt sollten wir lieber alle miteinander unsere Posten beziehen.« Die anderen nickten und setzten sich zielstrebig in Bewegung. »Mach den Geschützturm bereit, Eli!«, rief Larissa ihnen nach. »Ich bin gleich oben! Leon – für die Kampfmanöver werden wir volle Kraft brauchen!«
Leon Tarbell drehte sich noch einmal kurz um. »›Kampf‹, Larissa? Meinst du nicht Ausweichmanöver ?«
Larissa lächelte spitzbübisch, und dann stürzte Tarbell davon; er sah fast aus wie ein lustiger kleiner Teufel.
Während die Männer davongingen, um sich ihren jeweiligen Aufgaben zu widmen, verbanden sich ihre lauten Befehle und Antworten zu einem aufgeregten und aufregenden Chor, wie er früher einmal den Stapellauf eines hochseetüchtigen Schiffes begleitet haben mochte. Ich hörte ein leises Zischen, drehte mich um und sah, wie sich ein Lukendeckel sehr schnell, dabei jedoch mit erstaunlich gleichmäßiger Bewegung über die Öffnung senkte, durch die wir gesprungen waren. Sobald sich die Luke geschlossen hatte, leuchteten am Fußboden ein paar sanfte Lichter auf und enthüllten einen überraschenden Anblick: Die Wände waren nicht mit Kunststoff und poliertem Metall verkleidet, den üblichen Materialien, die man in Hightech-Umgebungen anzutreffen gewohnt war, sondern mit edlem Holz vertäfelt,
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