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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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Ergebnis haben Sie ja gesehen. Tja …« Sie steckte ihre Waffe wieder ins Halfter und berührte noch einmal mein Gesicht. »Ich könnte stundenlang hier herumstehen und mit Ihnen über Zerstörungskraft reden, aber Malcolm ist wirklich ganz versessen darauf, Sie kennen zu lernen.«
    »Sagen Sie, Larissa« – in ihrer Nähe fühlte ich mich so wohl, dass es mir nichts ausmachte, wenn sie mir meine Verwirrung anmerkte – »was hat das alles zu bedeuten? Warum bin ich hier?«
    Sie lächelte sanft. »Keine Sorge. Allem Anschein zum Trotz sind Sie an einem der letzten normalen Orte dieser Erde. Und Sie sind hier, weil wir Sie brauchen.« Sie schlüpfte an mir vorbei in den Geschützturm und ließ sich auf dem Sitz der großen Rail-Kanone nieder. »Gehen Sie immer geradeaus – Sie werden die richtige Tür schon erkennen, wenn Sie sie sehen.«
    Eli Kuperman wandte sich mit betont sachlicher Miene zu uns. »Die Ersten kommen rasch näher, Larissa.«
    Larissa schloss die Hände um zwei Bedienungselemente vor ihrem Sitz. »Gehen Sie jetzt lieber, Doktor«, rief sie mir mit einem erneuten Lächeln zu. »Es wäre mir gar nicht recht, wenn ich Ihnen zu einem so frühen Zeitpunkt unserer … Bekanntschaft den Kopf abschneiden würde.«
    Sie kippte die Steuerung nach links, und auf einmal begann der ganze Boden des Geschützturms zu rotieren; in ein paar Sekunden würde er die Luke verschließen, in der ich stand. Ich kletterte hastig hinunter und landete mit einem Stoß, der mich kräftig durchrüttelte, auf dem Fußboden des Gangs. Dann eilte ich weiter, vorbei an noch mehr Holzvertäfelungen, noch mehr Gemälden und noch mehr Türen, bis ich schließlich vor jenem Portal stand, das Larissa wohl gemeint hatte. Es war kunstvoller als die anderen und trug eine Inschrift in elegantem Schwarz und Gold:
     
    MUNDUS VULT DECIPI
     
    Ich ging mein vor Jahren erlerntes medizinisches Latein durch, aber ohne Erfolg; und so blieb mir nichts anderes übrig, als hineinzugehen und meinen Gastgeber kennen zu lernen, eine Aussicht, die mir einige Angst bereitete. Angesichts des Gefährts, in dem ich mich befand, der Schwester, die ich kennen gelernt hatte, und der Taten, die, wie ich wusste, auf sein Konto gingen, nahm ich an, dass dieser Malcolm Tressalian – und wieder war da etwas sehr Vertrautes an dem Namen – eine sowohl von der Statur als auch vom Charakter her einschüchternde, vielleicht sogar überwältigende Person sein musste. Aber die Begegnung war unvermeidlich, und so ergab ich mich in mein Schicksal, klopfte an die Tür und trat ein.
    Der Bug des Schiffes, ein konischer Aufbau, war vollständig von demselben durchsichtigen Material umhüllt, das ich in Larissas Geschützturm gesehen hatte, und die drei Ebenen des Raumes, den er beherbergte – ganz oben eine Aussichtskuppel, in der Mitte ein Steuer- und Leitzentrum und unten ein kleiner Konferenzraum – waren durch Treppen aus nacktem Metall verbunden. Tatsächlich war die Einrichtung im Großen und Ganzen in dem Hightech-Stil gehalten, den ich ursprünglich erwartet hatte, als ich an Bord gekommen war. Aber nach dem ziemlich anachronistischen Dekor draußen wirkte er überraschend, ja regelrecht verstörend.
    Die Tür, durch die ich eingetreten war, befand sich am hinteren Ende der Kommandoebene. Obwohl nahezu völlige Dunkelheit herrschte, konnte ich erkennen, dass zwei Männer vor dem Bedienungsfeld saßen; jenseits von ihnen breiteten sich die verfallenden Einkaufszentren und baufälligen Siedlungen der Vorstadtlandschaft von Florida aus. In ängstlicher Erwartung trat ich ein paar Schritte vor. Und dann sagte der Mann zur Linken durchaus gut gelaunt, aber ohne mich anzusehen:
    »Dr. Wolfe! Ausgezeichnet, Sie haben es geschafft, Larissa zu entkommen. Ich bezweifle, dass das unseren Verfolgern auch gelingen wird.«
    Und dann drehte er sich um, und zwar mit seinem gesamten Sitz: Denn es war ein Rollstuhl, und wie ich sogar im Halbdunkeln sehen konnte, saß darin nicht das körperlich beeindruckende Musterexemplar, das ich erwartet hatte, sondern eine schmächtige, ziemlich Mitleid erregende Gestalt, die nicht zu der volltönenden Stimme passen wollte.
    »Wahrscheinlich sollte ich Ihnen irgendeinen melodramatischen Willkommensgruß entbieten«, fuhr die Stimme im selben liebenswürdigen Ton fort. »Aber dazu sind wir beide nicht der Typ, hm? Nein, ich glaube, Sie hätten lieber ein paar Antworten.«

9
    M ein Name ist Malcolm Tressalian – hat meine Schwester es

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