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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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Haut kleben. Er drückte auf ein paar Tasten, dann knöpfte er die Manschette mit einem weiteren Lächeln zu und blickte wieder auf. »So. Wir haben noch ein paar Minuten. Wie möchten Sie sie verbringen?«
    Ich nahm an, dass er mit den »paar Minuten« die Zeitspanne meinte, die man mir für das Gespräch mit ihm eingeräumt hatte, und sagte deshalb unverblümt: »Ich schlage vor, Sie erzählen mir, was Ihr Bruder mit dem Tod von John Price zu tun hatte.«
    Kuperman winkte herzlich ab. »Ach, dafür haben wir später noch jede Menge Zeit. Und Malcolm wird es Ihnen viel ausführlicher erklären können als ich.«
    »Malcolm?«
    »Keine Sorge, Sie werden es schon noch verstehen. Übrigens, das mit Mr. Jenkins tut mir Leid. Wir hatten gehofft, dass er auch mitkommen würde.«
    »Mitkommen?« Ich verstand jetzt nur noch Bahnhof.
    »Ja.« Er rückte näher an die Scheibe heran. »Ich weiß, Sie sind verwirrt, aber versuchen Sie, das Gespräch irgendwie weiterzuführen, ja? Sonst wird der Wärter …«
    Kuperman unterbrach sich plötzlich, als ein merkwürdiges Geräusch an unsere Ohren drang; ein tiefes, grollendes Brummen, das aus allen Richtungen zugleich zu kommen schien, selbst aus meinem eigenen Kopf. Es wurde rasch, aber stetig lauter und intensiver, bis die metallenen Stühle und Tische im Raum merklich zu vibrieren begannen.
    Kuperman hob den Blick zur Decke und schaute dann erneut auf seine Armbanduhr. »Sieh an«, sagte er merkwürdig gelassen. »Das ging aber schnell. Sie müssen näher gewesen sein, als ich gedacht habe.«
    Als das Brummen lauter wurde, stürzte ich zu dem einzigen Fenster im Besuchsraum und spähte in die Dunkelheit hinaus. Außer den Lämpchen auf den Gefängnismauern gab es herzlich wenig zu sehen, aber dann erschien etwas, was sogar diese Signallichter auslöschte. Eine dunkle Masse, vielleicht so lang wie zwei Eisenbahnwaggons und doppelt so hoch, kam über die Mauer heran.
    »Was zum Teufel ist das?«, konnte ich nur flüstern; und dann merkte ich, dass Kuperman mir über die Sprechanlage etwas zurief. Seine Worte drangen nur knapp durch das immer stärker werdende Brummen:
    »Dr. Wolfe! Dr. Wolfe, gehen Sie vom Fenster weg, bitte !«
    Ich gehorchte, und gerade noch rechtzeitig: Die von der zunehmenden Vibration bereits gelockerten Gitterstäbe vor dem Fenster lösten sich auf einmal aus ihren Verankerungen und flogen davon, während die Drahtglasscheiben nicht zerbrachen, sondern regelrecht explodierten. Ich lief zur Trennwand zurück und sah, dass Kupermans Wärter die Hände auf die Ohren gepresst hatte und vor Entsetzen schrie.
    »Was ist das?«, rief ich in die Sprechanlage. »Kuperman, was geht hier vor?«
    Kuperman lächelte; aber bevor er mir eine Erklärung liefern konnte, begann die Wand hinter ihm heftig zu beben. Nur ein paar Sekunden später stürzte sie ein, die Steine fielen in die Tiefe und gaben einen rechteckigen, drei Meter breiten und hohen Ausgang in die Nachtluft frei. Sobald der Staub sich gelegt hatte, sah ich draußen vor diesem klaffenden Loch, ungefähr einen Meter von dem beschädigten Steinbau des Besuchergebäudes entfernt, so etwas wie eine Metallwand; und über dem beharrlichen Brummen hörte ich das Knallen von Schüssen aus dem unter uns liegenden Gefängnishof.
    »Alles in Ordnung, Dr. Wolfe!«, drang Kupermans verstärkte Stimme aus der Sprechanlage in mein Bewusstsein. »Keine Angst! Aber gehen Sie unter einem der Tische in Deckung, ja?«
    Erneut bewahrte mich die prompte Befolgung von Kupermans Befehl davor, ernsthaft verletzt zu werden, diesmal von herumfliegenden Fragmenten der transparenten Trennwand zwischen uns. Als ich unter dem Tisch hervorkroch und zu Kuperman zurückkehrte, sah ich, dass er mir eindringlich winkte, über die Reste der Trennwand zu steigen und zu ihm zu kommen. Ich gehorchte, sah mich aber auf einmal Kupermans Wärter und einem zweiten Beamten gegenüber. Beide hatten die Waffe gezogen, was Kuperman veranlasste, sich zu seinem Wärter umzudrehen und in ernstem Ton zu rufen:
    »Mr. Sweeney! Bitte! Sie glauben doch nicht, dass Ihnen das etwas nützen wird, oder? Wenn Sie und Mr. Farkas sich jetzt zurückziehen, verspreche ich, dass Ihnen nichts …«
    Bevor Kuperman den Satz zu Ende bringen konnte, wurde uns ein weiterer ungewöhnlicher Anblick zuteil: Etliche kleine grüne Lichter markierten plötzlich die Umrisse einer Tür in der metallenen Fläche vor dem Loch in der Wand. Dann das Zischen entweichender Luft, und die Tür

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