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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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Akklimatisierung in erheblichem Maße. Letztendlich war sie jedoch ein Beleg für die verführerische Macht der Technologie, eine Macht, über die sich mein im Rollstuhl sitzender Gastgeber – der sich im Übrigen weigerte, mir weitere Erläuterungen zu der Afghanistan-Geschichte zu geben, ehe wir nicht vor Ort waren – dort oben in der Aussichtskuppel folgendermaßen äußerte: »Während sich der Durchschnittsbürger massenhaft auf Liebesaffären mit der Informationstechnologie eingelassen hat – und während die Produzenten dieser Technologien sich gern als die demokratisierenden Elemente einer neuen Ordnung dargestellt haben –, konzentrierte sich die wahre wirtschaftliche und informatorische Macht, die alles andere als dezentralisiert war, in einer immer kleineren Anzahl von Megakonzernen; Unternehmen, die nicht nur darüber entschieden, welche Informationen verbreitet wurden, sondern auch darüber, welche Technologien zu deren Empfang und Überwachung entwickelt wurden. In Ihrem Land hat es anfangs wenigstens noch einen Kampf um die Kontrolle über diesen mächtigsten und umfassendsten öffentlichen Einfluss in der Geschichte gegeben, aber damit hat der Crash von ’07 Schluss gemacht. Angesichts des weltweiten Zusammenbruchs konnte Washington niemand anderen um Hilfe bitten als meinen Vater und seinesgleichen. Und diese Hilfe wurde natürlich gewährt – aber das hatte seinen Preis.«
    »Einfach ausgedrückt«, sagte Colonel Slayton, der von der Kommandoebene wieder zu uns heraufkam, »sie haben die Regierung gekauft. «
    Tressalian lächelte ihn an und wandte sich dann wieder mir zu. »Der Colonel hat ein Talent für bündige Formulierungen, das man manchmal fälschlicherweise für Taktlosigkeit halten könnte. Aber denken Sie daran, niemand verfügt über mehr persönliche Erfahrungen mit den Auswirkungen dessen, worüber wir sprechen, als die Soldaten des Taiwanfeldzugs, die – worauf Sie selbst hingewiesen haben, Doktor – sich unwissentlich für einen größeren Anteil am chinesischen Markt geopfert haben. Ja, die Informationstechnokraten, zu denen auch mein Vater zählte, haben die Regierung gekauft, und danach gab es keine gesetzgeberischen Initiativen und finanziellen Mittel mehr für Regulierungsprogramme, Forschungsvorhaben im medizinischen Sektor und im Umweltschutzbereich, für Bildung und Entwicklungshilfe, ja, nicht einmal für die Waffenentwicklung – das heißt, für nichts außer der Öffnung neuer Märkte und der Erweiterung der alten.«
    »Na schön«, stimmte ich zu. Larissa rückte immer näher an mich heran, und ich fühlte mich in ihrer Gegenwart immer wohler. »Ich gebe zu, ich sehe das genauso wie Sie, aber was soll’s? Sie haben selbst gesagt, dass so etwas in der Menschheitsgeschichte nicht zum ersten Mal passiert ist.«
    » Non , Gideon«, erwiderte Julien Fouché, während er eine fleischige Hand um eine kleine Espresso-Tasse legte. »Das hat Malcolm ganz und gar nicht gesagt. Für den ersten Teil der Geschichte gibt es vielleicht Präzedenzfälle, aber was ist mit dem letzten Kapitel? So etwas hat es noch nie gegeben. Man hat die Schleusen geöffnet, und die menschliche Gesellschaft, die schon mit Informationen gesättigt war, ist darin ertrunken. Sagen Sie mir – ich nehme an, der Begriff des ›Schwellenmoments‹ ist Ihnen bekannt? Wenn sich das Tempo und die Intensität eines Prozesses dermaßen steigern …«
    »Dass eine quantitative Veränderung in eine qualitative umschlägt«, beendete ich den Satz für ihn. »Ja, Professor, ich weiß.«
    »Nun, dann möchten wir die Behauptung wagen«, fuhr Fouché fort, »dass die Weltzivilisation insgesamt genau einen solchen Moment erreicht hat.«
    Ich lehnte mich einen Moment lang zurück. So extrem seine Worte auch geklungen haben mochten, wenn man bedachte, aus wessen Mund sie kamen, konnte man sie doch nicht einfach so abtun. »Sie meinen also«, erwiderte ich schließlich, »dass sich das Wachstum dieser neuesten Technologien quantitativ so sehr von anderen Entwicklungen auf dem Informationssektor unterschieden hat – beispielsweise von der Erfindung der Druckerpresse –, dass es eine qualitative Veränderung im Wesen der Gesellschaft zur Folge hatte?«
    »Précisément« , antwortete Fouché mit einem Nicken. »Nun machen Sie nicht so ein erstauntes Gesicht, Doktor. Die Hintermänner dieser Technologien haben selbst jahrelang behauptet, sie würden enorme Veränderungen auslösen. Der Punkt ist nur, dass wir, die wir

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