Die Täuschung
meinte ich mit einem Lächeln.
»Dann wollen wir uns setzen, während Julien das Essen aufträgt.« Tressalian begab sich ans Kopfende des Tisches und bedeutete mir, neben ihm Platz zu nehmen. »Wir werden versuchen, Ihnen die Situation zu erklären, Doktor. Anschließend können Sie sich in Afghanistan ansehen, wie wir unsere Ideen in die Tat umsetzen.« Er beugte sich zu mir. Seine blauen Augen leuchteten. »Und dann können Sie sich überlegen, ob ein Leben, in dem man globales Chaos anrichtet, nicht seinen gewissen Reiz hat …«
14
G leich darauf kam Fouché mit großen Platten voller einfach, aber köstlich zubereiteter Speisen aus der Kombüse: eine Kost, erkannte ich mit einem raschen Blick zu Tressalian, die jemandem mit einem schweren Nervenleiden zusagen würde. Dieser Eindruck bestätigte sich, als ich sah, dass er keinen Alkohol trank.
»Verzeihung«, sagte ich, während ich ihn musterte, »aber haben Sie ›globales Chaos‹ gesagt?«
»Oh, es ist für eine gute Sache«, beeilte er sich zu erwidern. »Das heißt, im Allgemeinen jedenfalls. Aber um zu verstehen, worum es dabei geht, werden Sie sich zunächst einmal mit der Philosophie befassen müssen, die uns hier alle zusammengebracht hat.«
»Ich höre zu.«
Tressalian nickte. »Nun denn, wo soll ich anfangen? Am besten vielleicht mit simplen Beobachtungen. Hat Ihnen gefallen, was Sie in der Nähe der Küste gesehen haben?«
Ich blickte abrupt auf: Hatte das Schiff darum so viel Zeit in diesen schmutzigen Gewässern verbracht? Um mich zu beeindrucken, so wie Larissa, als sie bei dem Gefecht mit unseren Verfolgern derart fachmännisch die große Rail-Kanone des Schiffes bedient hatte? »Es war ziemlich deprimierend«, sagte ich vorsichtig.
»Und das Meer, das uns jetzt umgibt«, fuhr Tressalian fort. »Haben Sie das Gefühl, dass da etwas fehlt?«
»Nur die Fische«, scherzte ich. Alle am Tisch sahen mich an, aber niemand verzog eine Miene; da begriff ich, wie schrecklich ernst meine Worte in Wahrheit gewesen waren. »Großer Gott«, stieß ich hervor, »ist es wirklich schon so schlimm?«
»Was Sie gesehen haben, spricht für sich selbst, Doktor«, sagte Colonel Slayton ernst und fuhr sich mit einem Finger über die Narbe an seiner Wange. »Die Atlantikküste ist im wahrsten Sinn des Wortes ein Schweinestall, und die letzten wichtigen Fischarten sind dank der staatlichen Lügen über die weltweite Durchsetzung der Fischereivorschriften bis in die fernsten Winkel des Ozeans gejagt worden. Aber auch dort wird man sie aufspüren und sehr bald abschlachten.« Er rieb sich weiterhin sanft die Narbe, und ich musste daran denken, wie viele »staatliche Lügen« zu seinen eigenen katastrophalen Erlebnissen während des Taiwanfeldzugs beigetragen hatten.
»Ja«, pflichtete Tressalian ihm düster bei. »Ich wünschte nur, ich könnte behaupten, solche Entwicklungen entsprächen nicht der Norm des menschlichen Verhaltens in der heutigen Zeit. Allerdings, nach den Phrasen der letzten Jahrzehnte zu urteilen, hätte unsere Zeit sich eigentlich von dieser Norm verabschieden müssen, nicht wahr, Doktor?«
»Was meinen Sie damit?«
»Nun, mit dem Anbruch dieses Jahrhunderts hat die Menschheit schließlich die große Chance bekommen, sowohl ihr eigenes Los als auch den Zustand des Planeten zu verbessern. Die erforderlichen Mittel waren alle vorhanden.« In seiner Stimme lag unüberhörbar Ironie. »Das Informationszeitalter hatte begonnen.«
Sein Ton verwirrte mich. »Ja – großenteils dank Ihres Vaters.«
Tressalians Ironie bekam sofort eine gewisse Schärfe. »Das stimmt. Großenteils dank meines Vaters …«
Ich schob meinen Teller weg und beugte mich vor. »Vorhin haben Sie sein Werk als ›Sünde‹ bezeichnet – warum?«
»Ach, kommen Sie, Doktor«, antwortete Tressalian, der mit einem schmalen silbernen Messer spielte. »Ich glaube, Sie wissen genau, warum. Und darüber hinaus glaube ich, Sie stimmen mit dieser Beurteilung überein.«
»Mag sein, dass ich einige Ihrer Ansichten teile.« Ich wog meine Worte sorgfältig ab. »Aber vielleicht bin ich aus ganz anderen Gründen zu ihnen gelangt.«
Er lächelte erneut. »Oh, das bezweifle ich. Aber untersuchen wir das näher, einverstanden?« Er stemmte sich mühsam hoch – die Hälfte seiner Mahlzeit lag noch auf dem Teller – und ging langsam um den Tisch herum. »Ja, Doktor, mein Vater und seine Kollegen haben dafür gesorgt, dass der größte Teil der Menschheit Zugang zum modernen
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