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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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Internet bekam. Zu dem, was man sehr verführerisch und natürlich erfolgreich als ›uneingeschränkte Information‹ verkauft hat. In einer Zeit, als der Kapitalismus und der weltweite freie Handel triumphiert hatten und sich ungehindert überallhin ausbreiteten, fiel es solchen Männern nicht weiter schwer, den Glauben zu fördern, dass man durch die Einwahl in dieses Internet Zugang zu einem riesigen System der Freiheit, der Wahrheit bekäme – und natürlich zur Macht. Die Menschen haben sich massenhaft an ihre Computer zurückgezogen und vor sich hin geklickt, und diejenigen, die noch von weltanschaulichen Skrupeln gequält wurden, ließen sich einreden, sie würden den demokratischen, freien Austausch nicht nur von Waren und Informationen, sondern auch von Ideen fördern. Mit anderen Worten, sie würden die Welt verändern, und zwar zum Besseren.«
    Er wandte das Gesicht wieder dem Meer zu, und sein Gebaren verlor an Schärfe. »Doch zur gleichen Zeit sind das Wasser und die Luft unerklärlicherweise, aber unbestreitbar schmutziger geworden denn je. Neue Pandemien sind aufgetaucht, und es gab keine Heilmittel dafür. Armut, Anarchie und Konflikte haben immer größere Teile der Welt verwüstet.« Er stieß einen Seufzer aus und zog die Augenbrauen hoch. »Und die Fische – sie sind verschwunden …« Als er sich wieder zu mir umdrehte, strahlte sein Gesicht eine beunruhigend widersprüchliche Gelassenheit aus. »Wie konnte das geschehen, Dr. Wolfe? Wie konnte das in einer Zeit geschehen, in der durch den ungehinderten Informationsfluss und den freien Handel doch angeblich eine Weltordnung entstanden ist, die nur dem Gemeinwohl dient?«
    Genau in diesem Moment ließ die Lautsprecheranlage des Schiffes erneut einen leise jaulenden Alarm ertönen, woraufhin Colonel Slayton verkündete, in zwei Minuten erfolge ein weiterer »Systemtransfer«. »Wir begeben uns für ein paar Stunden in die Stratosphäre hinauf, Dr. Wolfe«, sagte Tressalian. »Wie wär’s mit Kaffee und Dessert in einundzwanzigtausend Metern Höhe?«
    Ohne dass es mir aufgefallen war, hatte das Schiff während des Abendessens seine Bahnneigung geändert, und schon ein paar Sekunden später kam das sich kräuselnde Bild des fast vollen Mondes jenseits der Meeresoberfläche in Sicht. Mit ungeminderter Geschwindigkeit schoss das Schiff aus dem Wasser und in die Luft; seine supraleitenden elektromagnetischen Generatoren trieben es mit fantastischer Schnelligkeit in den Himmel empor. Nicht einmal das Geschirr auf dem Tisch klapperte.
    Colonel Slayton ging leise zur Treppe hinüber und stieg mit ruhigen, entschlossenen Schritten zur Kommandoebene hinauf. »Sie brauchen sich nicht mit der Insel in Verbindung zu setzen, Colonel«, rief Tressalian ihm nach. »Ich habe den Apparat schon überprüft. Bei Tagesanbruch werden wir dort sein.«
    »Tut mir Leid, Malcolm«, antwortete Slayton, ohne stehen zu bleiben. »Der militärische Hang, alles doppelt und dreifach zu überprüfen, ist nun mal nicht totzukriegen.«
    Tressalian sah mich an und lachte leise. »Die islamischen Terroristen in Afghanistan haben unsere Warnungen vor einem Angriff der Amerikaner in den Wind geschlagen«, erklärte er. »Deshalb müssen wir sie zwingen, ihr Versteck zu verlassen. Ihre Frauen und Kinder sind dort unten in diesen Tunnels bei ihnen, und ich lege keinen besonderen Wert darauf, dass deren Blut an meinen Händen klebt.«
    »Aber wie wollen Sie sie dazu zwingen ?«, fragte ich.
    »Nun, ich könnte es Ihnen erklären, Doktor«, sagte Tressalian, während er sich von der transparenten Hülle wegschleppte. »Aber ich glaube, es ist um einiges wirkungsvoller, wenn Sie’s mit eigenen Augen sehen.«

15
    S obald wir unsere Flughöhe in der dünnen, kalten Stratosphäre erreicht hatten, führte Tressalian eine langsame Prozession zur Aussichtskuppel oben in den Schiffsbug. Als wir beim Steuerzentrum auf der mittleren Ebene Halt machten, um seinen Rollstuhl zu holen, sah und hörte ich die Monitorkonsolen unter Colonel Slaytons Regie blinken und summen, und mir fiel auf, dass mein früheres Staunen über die fantastischen technischen Neuerungen, die sich in diesem Schiff vereinten, allmählich schwand. Es verblüffte mich, wie schnell der menschliche Geist technologische Sprünge akzeptiert und sich an sie anzupassen versteht – aber natürlich beschleunigten Tarbells Wodka und Larissas fortwährende und immer deutlichere körperliche Annäherungsversuche in dieser Nacht meine

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