Die Täuschung
Tonnerre , Gideon, man könnte meinen, Sie hätten sich noch nie allein angezogen!«
Ich gab mir etwas mehr Mühe, mich zu konzentrieren, und dabei fiel mir eine Frage ein: »Sagen Sie, Julien, eins verstehe ich nicht. Es waren doch die Chinesen und nicht die Afghanen, die Präsidentin Forrester ermordet haben, stimmt’s? Und deshalb sind wir hier. Aber warum haben die Chinesen das getan?«
»Ihre Madame la Présidente hatte ansatzweise so etwas wie Skrupel«, antwortete Fouché, »wenn auch tief in ihrem Innern verborgen. Als sie Bilder vom finalen Massaker an den Mitgliedern der Falun-Gong-Sekte im Jahr 2018 zu sehen bekam, hat sie ihrem Kabinett erklärt, sie wolle Pekings Handelsstatus vom Kongress überprüfen lassen.«
»Ihrem Kabinett? Und wie hat der chinesische Sicherheitsdienst das erfahren?«
»Gideon«, sagte Fouché tadelnd, während er mich den Gang entlangscheuchte, »sind Sie wirklich so naiv? Seit der Jahrhundertwende haben die Chinesen großen Wert darauf gelegt, immer mindestens ein amerikanisches Kabinettsmitglied in der Tasche zu haben – natürlich ein weiterer Beweis dafür, dass die intensivierten Handelsbeziehungen mit der Außenwelt nichts daran geändert haben, wie die Chinesen wirklich Geschäfte machen. Auch noch so viel Geld hätte allerdings nicht verhindert, dass es zu einer Krise gekommen wäre, wenn sich die Wahrheit über das Attentat herausgestellt hätte. Und ein Krieg zwischen Amerika und China wäre …«
»… eine Katastrophe gewesen«, sagte ich mit einem Nicken. »Deshalb hat Malcolm also das Bildmaterial manipuliert.«
Fouché grinste. »Einem Schabernack für einen guten Zweck kann er einfach nicht widerstehen.«
Wir kamen mittschiffs an, und Fouché griff neben eines der goldgerahmten Gemälde an den Wänden des Ganges und drückte eine Taste auf einem verborgenen Bedienungsfeld. »Die anderen sind schon vorausgegangen, um einen Weg frei zu machen, und Larissa gibt uns vom Geschützturm aus Deckung.« Auf einmal hob sich ein Stück des Schiffsbodens unter mir und gab eine Luke mit einer einziehbaren Treppe frei, die bis auf etwa einen Meter über dem Erdboden hinunterführte. Von draußen drangen laute Stimmen und das Motorengeräusch von Hubschraubern und Dieselfahrzeugen herein.
Am meisten fiel mir jedoch die unglaubliche Hitze auf, die vom Boden ausstrahlte: Sie war bei weitem höher, als ich erwartet hatte oder mir erklären konnte.
»Ja«, sagte Fouché, der meine Bestürzung bemerkte. »Der Apparat ist in Betrieb. Wir haben nicht ganz eine Stunde.«
»Bis was passiert?«, erkundigte ich mich nervös, während er die ersten Stufen hinunterging.
»Bis jeder Mensch, der so töricht ist, in diesem Gebiet zu bleiben, wie Papier verbrennt.« Fouché sprang auf den Erdboden und winkte mir zu. »Kommen Sie! Die Zeit drängt!«
Die Landschaft um das Schiff herum unterschied sich nicht sehr von der vieler anderer Länder des »analogen Archipels«, jenem Flickenteppich von Ländern, die im Rennen um die digitale Technologie so weit zurückgefallen waren, dass sie es schließlich aufgegeben hatten. Aber das Chaos, das in diesem Abschnitt des Amu-Darya-Tals herrschte, war erschreckend, selbst für eines der rückständigsten Länder. Aus großen, von gewaltigen Balken gestützten und mit Sandsäcken befestigten Tunneleingängen strömten ganze Heerscharen von Menschen, einige in Militärkleidung, andere in traditioneller islamischer Tracht; alle rannten zu einer großen Ansammlung von Bussen, Hubschraubern und Jeeps. Viele der Frauen trugen kleine Kinder, von denen die meisten schrien, was auch kein Wunder war: Der Lärm und die Hitze, dazu noch die drohend aufragende Silhouette von Tressalians Schiff, hätten auch viel ältere und aufgeklärtere Seelen erschreckt. Mich zum Beispiel.
Als ich durch den von den Helikopterrotoren aufgewirbelten Staub nach vorn schaute, bemerkte ich, dass Slayton, Tarbell und die Kupermans mit gezogenen Waffen ausgeschwärmt waren. Sie rückten auf einen bestimmten Tunneleingang vor und zogen dabei mit ihren Betäubungspistolen hin und wieder einen Verwirrten aus dem Verkehr, der unser Team anscheinend irrtümlich für Mitglieder der herannahenden amerikanischen Spezialeinheit hielt und vortrat, um uns zu stoppen. Während Fouché und ich den anderen zu diesem Tunnel folgten, rief ich: »Julien! Was ist das überhaupt für ein ›Apparat‹?«
»Eine euphemistische Bezeichnung, hm?«, antwortete Fouché mit einem Lachen. »Das ist
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