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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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primitiveren Arten von Menschen gelebt hatten. Die gleichen Folgen wie das fünfte Evangelium für die Religion hatte nun der passend getaufte Homo inexpectatus für die Wissenschaft; innerhalb von nicht einmal drei Jahren waren zwei der mächtigsten Glaubenslehren der Welt in Auflösung geraten.
    »Das ist unglaublich«, sagte ich leise. Und verschwieg, dass all dies seltsamerweise auch etwas eindeutig Faszinierendes für mich hatte.
    »Und dabei haben Sie bis jetzt nur Geschichten gehört«, sagte Eli. »Warten Sie, bis Sie …« Er hielt inne, als sein Blick erneut auf die Uhr fiel. »Herrje, seht mal, wie spät es schon ist. Tut mir Leid, Gideon, aber wir sollten wirklich versuchen, noch ein paar Stunden zu schlafen.«
    Jonah nickte. »Glauben Sie mir, Sie werden es brauchen. In Afghanistan könnte es ganz schön heiß werden – in vielerlei Hinsicht.«
    »Was soll das nun wieder bedeuten?«, fragte ich ein wenig beunruhigt.
    »Nichts«, antwortete Eli ausweichend, sammelte die Bomben ein und legte sie auf das Bord zurück. »Sie werden schon sehen. Kommen Sie, wir können uns unterwegs weiter unterhalten – über die anderen Jobs, wenn Sie wollen.«
    »Die anderen Jobs?« , wiederholte ich noch erstaunter; aber sie expedierten mich schon aus dem Raum und eilten dann mit mir durch die Gänge zu meiner Kabine.
    Auf dem Weg erfuhr ich, dass es sich bei den erwähnten »anderen Jobs« um viel kleinere Unternehmungen handelte, eigentlich eher um Späßchen, damit die Gruppe kollektiv in Übung blieb, wie zum Beispiel die Florida-Eskapade der Kupermans. Aber das nahm der zentralen Schlussfolgerung, zu der solche Enthüllungen unausweichlich führten, nichts von ihrer Wucht: der Schlussfolgerung nämlich, dass Malcolms Behauptung, es sei nahezu unmöglich zu erraten oder zu glauben, in welchem Ausmaß der herkömmliche Wissensschatz und die öffentliche Diskussion unserer Zeit von seiner Gruppe choreografiert worden sei, vollauf gerechtfertigt war. Wie jene Menschen, die im späten zwanzigsten Jahrhundert von Therapeuten manipuliert worden waren, die verschüttete Erinnerungen aufdecken wollten, sah die Menschheit sich infolge der gezielten Falschmeldungen dieser Leute allmählich in einem ganz neuen Erfahrungszusammenhang. Unsere vollständige Abhängigkeit von der Informationstechnologie hatte dazu geführt, dass wir alle – selbst diejenigen wie ich, die törichterweise glaubten, sie seien von Natur aus skeptisch – die von diesen Systemen gelieferten, schockierenden neuen »Tatsachen« akzeptierten und lieber über deren Details als über ihre Herkunft diskutierten; und gerade dadurch bestätigten wir Malcolms fundierte Anklagepunkte samt und sonders.
    So müde ich war, diese Erkenntnisse erschwerten es mir, die Augen zu schließen und einfach einzuschlafen, als ich endlich in das kleine, aber luxuriöse Bett in meiner Kabine schlüpfte. Irgendwann fiel ich allerdings doch in einen tiefen, wirren Schlaf, eine Kur, die sich als fast noch schlimmer erwies als das Leiden der Erschöpfung – denn ich wurde viel zu früh von dem jaulenden Schiffsalarm geweckt.
    Offenbar waren wir in Afghanistan angekommen.

18
    E s gelang mir, die Schiffssirene etliche Minuten zu ignorieren, aber dann kam auch noch ein festes Klopfen an die Tür meines Abteils hinzu. Ich rappelte mich mühsam hoch und schaute kurz darauf in Julien Fouchés breites, bärtiges Gesicht. Er trug seinen Körperpanzer und hatte eine Waffe umgeschnallt.
    »Es ist so weit, Doktor«, sagte er und reichte mir meinen eigenen Overall und die Stiefel, dazu die Betäubungspistole, die Jonah mir im Arsenal gezeigt hatte. »Die Amerikaner werden demnächst ihren Angriff starten, und unsere muslimischen Freunde sind offenbar nicht so richtig kooperativ. Die Situation ist heikel – Malcolm meint, dass Ihre Hilfe unten am Boden von großem Wert sein wird.«
    »Meine?« Ich versuchte, in den Overall zu schlüpfen. »Aber wieso?«
    »Der Anführer der Gruppe ist ein besonders neurotischer und unberechenbarer Bursche, der tatsächlich bereit zu sein scheint, den Märtyrer zu spielen, was für uns alle völlig akzeptabel wäre, wenn er nur seine Frauen und Kinder nicht mit Versprechungen über Vorzugsplätze im Paradies dazu bewegt hätte, bei ihm zu bleiben. Malcolm ist offenbar der Ansicht, Sie könnten ihn vielleicht überreden, seine Meinung zu ändern.« Fouché sah mir zu, wie ich schlaftrunken mit dem Overall kämpfte, und half mir dann ungeduldig hinein. »

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