Die Täuschung
waren.
Slayton saß mitten in all dem an einer Konsole, den Blick auf die größten beiden Monitore gerichtet, obwohl die aufblitzenden Informationen eindeutig zu schnell über die Bildschirme huschten, als dass er sie vollständig hätte erfassen können. Ich wollte ihn fragen, was in aller Welt er da tat, aber es gelang mir auch durch noch so lautes und theatralisches Räuspern nicht, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Darum trat ich ein oder zwei Schritte weiter in den Raum, bis ich neben ihm stand. Doch dann erstarrte ich.
Die lange Narbe in seinem Gesicht war von einem dünnen Tränenstrom benetzt worden, aber seine Miene war so unbewegt wie eh und je: Nur ein ganz leises Zittern seines grimmig vorgeschobenen Kinns deutete überhaupt auf eine Gefühlsregung hin. Bei einem solchen Mann sprach jedoch auch eine so winzige Bewegung Bände.
Es war eine äußerst peinliche Situation für mich, und ich versuchte sie zu beenden, indem ich langsam wieder zur Tür zurückwich. Aber bevor ich halbwegs dort war, sah ich, wie der Colonel die Hand langsam zu einem Tastenfeld ausstreckte und auf eine der leuchtenden Tasten drückte. Die Lautstärke in dem Raum sank sofort auf eine Stufe, die meine Verlegenheit nur verstärkte. Dann sagte Slayton leise und ohne sich umzudrehen:
»Was Sie hier hören und sehen, Doktor, ist der Nachrichtenverkehr diverser Abschirm- und Geheimdienste in aller Welt.«
»Aha«, war alles, was mir darauf einfiel.
»Sagen Sie mir«, fuhr Slayton fort. »Stimmt es, dass das menschliche Ohr nicht empfindlich genug ist, um Unehrlichkeit wahrzunehmen?«
Mir schien nichts anderes übrig zu bleiben, als die Unterhaltung fortzusetzen. »Meistens, ja«, sagte ich. »Derartige Interpretationen sind für gewöhnlich emotional gefärbte Beurteilungen, keine perzeptorischen Gewissheiten.«
Der Colonel grunzte. »Mag sein. Vielleicht ist mein Ohr mit den Jahren einfach immer feiner geworden. Aber ich kann Ihnen mit absoluter Gewissheit sagen, Doktor, dass dies hier« – er drehte die Lautstärke in dem Raum wieder hoch – »dass dies hier der Klang der Lüge ist.«
Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand und Slaytons unbewegliche Gestalt betrachtete, während er weiter auf die riesigen Monitore starrte. Schließlich reduzierte er die Lautstärke wieder, tupfte sich ganz offen sowohl seine Narbe als auch die andere Wange mit einem Taschentuch ab und drehte sich dann mit seinem Stuhl zu mir um. »Kann ich etwas für Sie tun, Dr. Wolfe?«, fragte er und musterte mich neugierig.
»Ich … ich habe mich gefragt …« Während ich nach Worten suchte, kann mir der Gedanke, dass Slayton mein Unbehagen womöglich genoss; aber ein weiterer prüfender Blick in sein Gesicht ließ nichts erkennen, was einen solchen Verdacht bestätigt hätte. »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe mir Gedanken um Malcolm gemacht. Ich wüsste gern, ob ich ihm ärztliche Hilfe zuteil werden lassen könnte.«
»Glauben Sie, er braucht psychiatrische Hilfe?« Seltsamerweise schien die Frage völlig ernst gemeint zu sein.
»Das habe ich nicht gemeint«, antwortete ich. »Aber ich bin Arzt, ich erkenne chronische Schmerzen, wenn ich sie sehe. Und Larissa hat mir seine … Geschichte erzählt.«
»So?« Slaytons Augen wurden schmal. »Nun, wenn das so ist, Doktor, dann sind Sie sicher bereits zu dem Schluss gekommen, dass da niemand etwas tun kann – weder Sie noch sonst jemand. Für ihn gibt es nur eins: Schmerzmittel und Ruhe. Etwas anderes hat es für ihn nie gegeben.«
Ich entdeckte einen Anknüpfungspunkt. »Und es bereitet ihm ganz offenkundig keine Probleme, Medikamente einzunehmen. Aber warum ruht er sich nicht genug aus?«
Der vage Anflug eines Lächelns schien in einen Mundwinkel des Colonels zu huschen. »Sehr geschickt, Doktor«, sagte er. »Aber das kann ich nicht beantworten. Keiner von uns kann es. Einfach weil keiner von uns weiß, welche Arbeit ihn vom Schlafen abhält – nicht einmal Larissa.«
»Verstehe.« Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Und Sie?«
Das Phantomlächeln schien deutlichere Gestalt anzunehmen. »Jonah und ich haben einen holografischen Projektionsmechanismus für das Schiff gebaut und installiert. Mit dessen Hilfe sollte es uns gelingen, uns ungesehen zu bewegen und solche Schlamassel wie das in Florida zu vermeiden.«
»Ist das möglich?«
Slayton neigte abwägend den Kopf. »Im Pentagon waren wir nahe dran. Malcolm glaubt, dass er alles fertig ausgearbeitet
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