Die Täuschung
verwirrt innehalten würde – ein Verbrechen, das mich in mein Dschungelexil hier in Afrika trieb, wo ich nun so verwirrt und voller Angst wie noch nie die Ankunft meiner ehemaligen Kameraden erwarte.
23
W ährend wir anderen weiterhin darauf warteten, dass Malcolm aus seinem Labor kommen und verkünden würde, es sei an der Zeit, ein neues Täuschungsmanöver ins Auge zu fassen, fiel es mir zeitweilig schwer, die Geduld zu bewahren – obwohl ich gern zugebe, dass es für Larissa und mich leichter war als für die anderen, wie Leon Tarbell wiederholt betonte. Tatsächlich versetzte der bloße Gedanke daran, dass andere Mitglieder der Gruppe eine körperliche Beziehung miteinander unterhielten und er niemanden hatte, Tarbell derart in Erregung, dass er sich zunächst in einem angeblichen »Virtual Reality Sex Suit« (im Grunde nicht mehr als eine dünne, lange Unterhose aus Gummi, in die starke Elektroden eingebettet waren) durch einen Stromschlag beinahe tötete und ein paar Tage später dann mit einem kleinen Turbinenhubschrauber, der in einem der Schuppen der Anlage untergestellt war, nach Edinburgh flog. Als er seine Startvorbereitungen traf, wies ich ihn darauf hin, dass Glasgow näher sei, aber das hatte nur zur Folge, dass ein Ausdruck überlegener Verachtung in seine lebhaften Züge trat.
»Besoffene Hilfsarbeiter und Heroinsüchtige!«, blaffte er. »Nein, Gideon, die Prostituierten von Edinburgh bedienen sexhungrige Anwälte und perverse Politiker – die haben enorme Erotik, die sind genau das Richtige für mich!«
Dann brüllten die Triebwerke der Maschine auf, und weg war er.
So begann ein sehr bemerkenswerter Abend. Ich war ausnahmsweise einmal allein, weil Larissa beschlossen hatte, die ganze Nacht über am Bett ihres immer noch kranken Bruders Wache zu halten, damit er sich in dieser Zeit ausruhte, statt in seinem Labor zu arbeiten. Erneut ertappte ich mich bei Spekulationen darüber, was den Mann wohl so in Anspruch nehmen mochte, dass es ihn geradezu auffraß. Larissa hatte zwar gesagt, sie habe keine Ahnung, aber mir kam der Gedanke, dass der stets geheimnistuerische und nicht sehr gesprächige Colonel Slayton es vielleicht wusste. Als ich herumfragte, erfuhr ich, dass Slayton sich in den Abhörraum der Anlage zurückgezogen hatte. Also machte ich mich auf den Weg, um herauszufinden, ob ich ihn mit meiner angeblichen psychologischen Raffinesse dazu bringen konnte, etwas über Malcolms Aktivitäten preiszugeben.
Der Abhörraum befand sich in einer Kneipenattrappe gegenüber der Kirche, in der das Projektionsgerät von Malcolms Ozonwaffe untergebracht war. Unter der Kneipe lag eine unterirdische Kammer mit einem Durchmesser von rund hundert Metern; sie beherbergte die Geräte, denen die eigentliche Arbeit oblag, die offizielle wie auch private elektronische Kommunikation der ganzen Welt zu belauschen. Die Regierungen der Vereinigten Staaten und ihrer englischsprachigen Verbündeten hatten jahrzehntelang ein ähnliches System namens Echelon betrieben, für das mehrere solcher Abhöranlagen mit Quadratkilometern von Gerätschaften vonnöten gewesen waren: Wieder einmal hatte Malcolm die nächste Stufe der technologischen Entwicklung erreicht.
Ich klopfte mehrmals an das Holzimitat an der Tür, ohne eine Antwort zu bekommen. Aber da ich im Innern ein unverständliches Stimmengewirr hörte, schien die Vermutung gerechtfertigt, dass der Colonel tatsächlich bei der Arbeit war. Deshalb trat ich leise ein – und sah mich mit einer Szenerie konfrontiert, die zu den befremdlicheren Dingen zählte, die ich seit meiner Ankunft zu sehen bekommen hatte.
Die Deckenlampen in dem Raum waren ausgeschaltet, aber das Licht von ungefähr zwanzig Monitoren zerschnitt die Dunkelheit in der fensterlosen Kammer. Die meisten von ihnen waren nicht besonders groß, aber ein paar nahmen fast eine ganze Wand ein. Anfangs konnte ich den aufblitzenden Konturen auf diesen Bildschirmen keinen rechten Sinn zuordnen, doch als meine Augen sich an das leicht stroboskopartige Licht gewöhnt hatten, erkannte ich, dass es rasch wechselnde, verschlüsselte und dekodierte Textkörper waren, hin und wieder auch ein Plan oder ein Diagramm. Keine zwei Bildschirme zeigten das Gleiche, und die Kakophonie, die ich draußen gehört hatte und die bei meinem Eintreten geradezu ohrenbetäubend geworden war, wurde von Dutzenden gleichzeitig ertönender Audiosignale produziert, die wiederum teilweise verständlich und teilweise kodiert
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