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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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nicht?«, fragte ich überrascht.
    Larissa schüttelte den Kopf. »Was es auch ist, es scheint nicht ganz fertig zu sein.«
    »Nein«, sagte ich und ließ die Bilder noch einmal ablaufen. »Max hat es auf der Disk entdeckt, die Prices Frau uns gegeben hat. Ich hatte das ganz vergessen – und als ich es wieder sah, nahm ich an, dass es ein weiterer Auftrag war, den Price für deinen Bruder erledigt hat.«
    »Falls ja, dann habe ich nie etwas davon gehört.« Larissa sprang auf und ging zu einem leuchtenden Tastenfeld neben meinem Bett. »Vielleicht weiß Leon etwas darüber.« Sie drückte auf ein paar Tasten. »Leon, kommst du bitte in Gideons Zimmer? Er hat etwas Merkwürdiges gefunden.«
    Ein paar Minuten später kam Leon Tarbell hereingerauscht, eine Zigarette zwischen den Lippen. »Na, was haben Sie da Geheimnisvolles, Gideon?«, sagte er. »Ich war ziemlich beschäftigt, als Sie …« Dann sah er die Bilder auf dem Monitor und hielt abrupt inne. »Was zum Teufel ist das ?« Als ich noch einmal erklärte, woher die Disk stammte, konzentrierte sich Tarbells Blick noch stärker auf die graue Gestalt auf dem Monitor.
    »Den kenne ich«, sagte er fasziniert und frustriert zugleich. »Ja, ich bin sicher , dass ich ihn kenne, aber ich kann ihn irgendwie nicht – da, sehen Sie? Wenn er sich ins Profil dreht. Ich weiß , dass ich diese Silhouette schon irgendwo gesehen habe.«
    »Genau so ist es mir auch gegangen, als ich das zum ersten Mal gesehen habe«, antwortete ich mit einem Nicken. »Aber ich konnte die Gestalt nicht …«
    »Moment mal!« Ein Ausdruck jähen Wiedererkennens trat in Tarbells flackernden Blick, und dann eilte er zur Tastatur des Computers. »Ich glaube, ich könnte vielleicht …« Er verstummte, als er sich auf der Tastatur ans Werk machte. Dann erschienen in rascher Folge neue Bilder auf dem Monitor und verschwanden wieder.
    »Was ist das, Leon?«, fragte Larissa. »Hat Price wirklich noch etwas anderes als den Forrester-Job für Malcolm gemacht?«
    Tarbell zuckte die Achseln. »Wenn er’s dir nicht gesagt hat, meine Liebe, hätte er es uns anderen sicherlich auch nicht erzählt. Aber was diesen mysteriösen Burschen betrifft …« Er zeigte auf den Bildschirm, wo erneut die Aufnahmen des Konzentrationslagers auftauchten; ein Standbild war zu sehen. Tarbell tippte noch ein paar Mal schwungvoll auf die Tastatur. »Hier … ist … er!«
    Die geheimnisvolle Silhouette füllte sich plötzlich auf perfekte Weise mit dem Foto eines Mannes, dessen Namen wir alle gut kannten:
    »Stalin«, sagte ich verwirrter denn je.
    »Ja, richtig, es ist Stalin«, stimmte Larissa zu. Aus ihrem Blick sprach die gleiche Verblüffung, die auch ich verspürte. »Aber welches Interesse könnte Price daran gehabt haben, den in ein Todeslager der Nazis zu versetzen?«
    Tarbell zuckte nur erneut die Achseln, während ich fragte: »Meinst du, das ist wichtig? Vielleicht sollten wir Malcolm fragen …«
    »Nein, Gideon«, sagte Larissa entschieden. »Nicht jetzt. Ich komme gerade von ihm. Er hat die ganze Nacht hindurch gearbeitet und zum Schluss wieder einen Anfall bekommen.«
    Meine Aufmerksamkeit wandte sich Malcolms Verfassung zu, und ich fragte mich laut: »Was macht er überhaupt in diesem Labor?«
    Larissa hob frustriert die Schultern. »Er will es nicht sagen, aber er arbeitet schon monatelang daran. Was immer es sein mag, ich wünschte, er würde damit aufhören – er braucht dringend Ruhe. Und was diese Sache hier angeht …« Sie schaltete den Bildschirm des Terminals ab, holte dann die Disk heraus und warf sie Tarbell zu. »Ich würde sagen, es war nur ein Film, an dem Price gearbeitet hat. Vergiss es, Gideon.« Sie drehte mein Gesicht zu ihrem und kam näher heran, um mich zu küssen. »Ich möchte, dass du dich jetzt voll und ganz auf mich konzentrierst.«
    Tarbell räusperte sich. »Mein Stichwort«, sagte er, steckte die Disk ein und ging so eilig hinaus, wie er hereingekommen war. »Ich hab’s Ihnen schon mal gesagt, Gideon – Sie sind ein Glückspilz …«
    Vielleicht war ich das. Aber Glück ist natürlich vergänglich; und hätte ich in diesem Moment gewusst, wie bald mein Glück enden und wie viel die wieder entdeckte Disk damit zu tun haben würde, hätte ich mich niemals ablenken lassen, nicht einmal von Larissa. Denn eine fertig gestellte Version der von uns gesehenen Bilder sollte nur allzu bald ein derart unfassbares Verbrechen auslösen, dass sogar unsere sinnlos hyperaktive Welt erstaunt und

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