Die Täuschung
seinen Stuhl vom Bildschirm weg und rollte langsam zu der transparenten Hülle zurück.
»Malcolm?«, sagte ich schließlich. »Was ist los?«
»Sie konnten die Verschlüsselung dieser Bilder knacken?«, fragte er im selben leisen Ton.
»Max konnte es, ja«, antwortete ich.
Malcolm nickte einen Moment. Dann murmelte er: »Er war sehr gut in seinem Job, Ihr Freund Mr. Jenkins …«
»Möchten Sie, dass Leon die Disk mitbringt?«
Malcolm hob eine Hand. »Nicht nötig. Ich habe eine fertige Version.«
Als ich die Situation allmählich erfasste, krampften sich meine Eingeweide erneut zusammen. »Dann hat Price die Bilder also wirklich für Sie geschaffen.«
»Ja«, flüsterte Malcolm mit einem weiteren Nicken. Er schwieg lange Zeit, wie mir schien, dann fuhr er fort: »Nun, Gideon, ich fürchte, Ihr Washington-Projekt wird warten müssen. Wenn ich Recht habe …« Er ließ den Kopf sinken und legte die Hände an die Schläfen. »Aber ich darf nicht Recht haben. Tatsächlich müssen wir beten, Gideon, dass ich wirklich so verrückt bin, wie es manchmal den Anschein hat.«
27
O bMalcolm nun verrückt war oder nicht, er hatte jedenfalls Recht mit seinen dunklen Ahnungen bezüglich der mysteriösen Nachrichten der Israelis, in denen es um die Stalin-Bilder ging. Als wir uns alle um den Tisch auf der unteren Ebene des Schiffsbugs versammelt hatten, der sowohl als Esstisch wie auch als Konferenztisch diente, zeigte Malcolm uns die fertige Version dieser Bilder und erklärte, wie sie entstanden waren; und obwohl es mir vor ein paar Monaten vielleicht noch schwer gefallen wäre, die Gefahren zu erkennen, die von solch einem scheinbar unwichtigen Bilddokument ausgingen, wusste ich inzwischen genug über die Macht geschickt verpackter Desinformation, um zu erkennen, dass wir es möglicherweise mit einer katastrophalen Situation zu tun hatten.
Die Bilder selbst waren ziemlich schlicht: Sie zeigten in mehreren Szenen, wie Josef Stalin irgendwann in den späten dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts einen Rundgang durch verschiedene Teile des Konzentrationslagers Dachau machte (Dachau war das erste der wirklich großen, fabrikmäßig angelegten deutschen Vernichtungszentren gewesen). Man sah den Sowjetführer, wie er die schwer schuftenden Gefangenen, die Wärter, die sie misshandelten, die Hinrichtungen und die Beseitigung der Leichen mit beifälliger Miene betrachtete und hin und wieder sogar schmunzelnd an seiner Pfeife zog, während er Informationen und Witzchen mit mehreren hochrangigen SS-Führern austauschte – darunter einmal auch Heinrich Himmler. Was diese Bilder zeigen sollten, lag auf der Hand: Die Sowjetregierung hatte nicht nur im eigenen Land eine Politik des Völkermords betrieben, sondern war in den Jahren vor Hitlers Einmarsch in Russland auch am Nazi-Holocaust beteiligt gewesen.
»Aber zu welchem Zweck wolltest du denn einen solchen Eindruck hervorrufen, Malcolm?«, fragte Jonah zutiefst beunruhigt von dem, was er gesehen hatte – wie wir alle.
»Die russische Regierung ist mittlerweile so weit heruntergekommen, dass sie nicht mehr nur instabil, sondern gefährlich, ja geradezu grotesk ist«, erklärte Malcolm, die Hände auf den Armlehnen seines Rollstuhls immer noch zu Fäusten geballt. »Seit seiner Machtergreifung benutzt der rechte Flügel dieselbe Taktik, mit der schon Tschetschenien und vier andere rebellische Regionen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Atomwaffen und Atomtechnologie – auch wenn sie zugegebenermaßen primitiv sind – werden an jeden verkauft, der sie in harter Währung bezahlen kann. In den Fabriken und auf den Feldern herrscht praktisch die Sklaverei, und Giftmüll sowie Atommüll werden in oberflächennahe Endlager in Sibirien gekippt; darum hat die separatistische Bewegung dieser Region so massiv Gewalt angewandt. Die Zentralregierung reagiert auf jedes neue Problem nur mit noch schlimmeren Lösungen, und inzwischen sieht es so aus, als würde Russland zum schwarzen Loch der heutigen Welt werden und bei seinem Zusammenbruch die gesamte Zivilisation mit sich reißen. Aber die übrige Welt legt die Hände in den Schoß. Die Auslandsinvestitionen in Russland sind absurd hoch, und niemand kann es sich leisten, die Wahrheit auszusprechen oder dafür zu sorgen, dass sie ausgesprochen wird – die Informations- und Kommunikationsunternehmen gehören schließlich zu denjenigen auf dem russischen Markt, deren wirtschaftliche Lage am angespanntesten ist. Die Behauptung,
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