Die Täuschung
eingedrungen waren, trafen sie auf viel härteren Widerstand, als sie jemals erwartet hatten; und wenn Angehörige ihrer Streitkräfte das Pech hatten, in Gefangenschaft zu geraten, wurden sie im Allgemeinen zu Tode gefoltert, verstümmelt und mit einer kleinen UN-Fahne im Mund zu den alliierten Linien zurückgeschickt. Schließlich brachten die alliierten Truppen die meisten Städte in den Küstenregionen der malaiischen Halbinsel unter ihre Kontrolle. Einige allerdings hielten weiterhin stand und wurden zu Ausgangspunkten der Geheimpfade, die zu den Dschungelgebieten im Hochland führten. Diese hatten sich bereits als militärischer Sumpf für die Alliierten erwiesen und waren nun zu einem Sammelbecken für Kriminelle und Söldner aus aller Welt geworden.
Und in diese Höhle des Löwen wollten meine Schiffskameraden mich also jetzt hineinschleifen. Die Reise begann in Marseille, denn Eshkol hatte sich dafür entschieden, Frankreich von dort aus zu verlassen. Der Name auf seinem Flugticket – »Vincent Gambon« – tauchte bald auf der Fahrgastliste eines französischen Hochgeschwindigkeitszuges auf, der von Troyes aus nach Süden fuhr. Als dieser den Bahnhof verließ, blieb ihm unser Schiff auf den Fersen, und wir flogen unter dem Schutz unseres holografischen Projektors dicht über die französische Landschaft hinweg, um Eshkol keine Chance zu geben, uns zu entwischen. Einige Stunden, bevor er an Bord seiner Maschine gehen sollte, kam der Zug in Marseille an, sodass sowohl Eshkol als auch wir genügend Zeit hatten, zum Flughafen zu gelangen: Malcolm hatte beschlossen, sich dem Flugzeug ebenso weit zu nähern wie dem Hochgeschwindigkeitszug, auch solange es noch nicht gestartet war. Bei dieser Aussicht wurde es nicht nur mir mulmig, sondern auch mehreren anderen aus der Gruppe. Es war keineswegs nur die simple Furcht, die jeder normale Mensch verspürt, wenn er sich einem der überlaufenen und überbeanspruchten internationalen Flughäfen nähert. So gefährlich schon allein die ausgeklügelte Version des russischen Roulettes war, die man Flugreise nannte – mit einem nicht registrierten und praktisch unsichtbaren Fluggerät mitten in ein so tödliches Durcheinander hineinzufliegen, schien der Inbegriff des Wahnsinns zu sein. Doch Larissa, die das Schiff vom Geschützturm aus steuerte, freute sich schon diebisch auf ein solches Unternehmen, und ich konnte nur auf ihre genetisch verbesserte geistige Beweglichkeit bauen und versuchen, nicht allzu oft aus dem Fenster zu sehen.
Was sich als unmöglich erwies, denn so Furcht erregend die nun folgende Aktion auch war, sie war vor allem enorm spannend. Das Schiff, das so langsam und bedrohlich über die Mauern des Gefängnisses von Belle Isle hinweggeflogen war, demonstrierte eine geradezu unvorstellbare, beinahe spielerische Beweglichkeit in der Luft, als wir auf dem Le Pen International Airport von Marseille zwischen den landenden, startenden und auf dem Rollfeld herumfahrenden Flugzeugen hin und her flitzten. Nicht dass es keine guten Gründe gegeben hätte, sich zu ängstigen: Dutzende von Passagierflugzeugen schwenkten oftmals völlig unvermittelt scharf ab, um nicht zusammenzustoßen, weil sie in einer absurd hohen Frequenz landen und starten sollten; und darüber hinaus schien mir, dass Larissa ein perverses Vergnügen daran fand, immer ein klein wenig zu nah an ihnen vorbeizusteuern. Doch obwohl ich manchmal vor Schreck aufschrie, hatte ich nie das Gefühl, wirklich in Todesgefahr zu sein, und nach ein paar Minuten lachte ich hin und wieder sogar – wenn ich nicht gerade schrie.
Trotzdem war ich nicht sonderlich traurig, als sich Eshkols riesiger Airbus, auf zweieinhalb Passagierdecks mit nahezu eintausend vertrauensvollen Seelen voll gestopft, schwerfällig in den Himmel erhob und den Flug nach Südosten antrat. Die vier Mammuttriebwerke des Flugzeugs stießen gewaltige Wolken an Auspuffgasen aus, die uns im Geschützturm des Schiffes jede Sicht raubten, als wir uns an die Maschine hängten. Zudem entgingen wir in diesen angespannten Minuten nur um Haaresbreite einer Kollision mit einem weiteren überbelegten Behemoth aus Afrika, der fernab vom vorgeschriebenen Kurs hereinkam, was daran lag (wie ich beim Abhören der Flugsicherung im Tower erfuhr), dass niemand von der Besatzung Englisch oder Französisch verstand. Mit Hilfe der Computersteuerung und dank ihres eigenen Geschicks manövrierte Larissa uns rasch aus dieser gefährlichen Lage und ging dann auf
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