Die Täuschung
hatte man sich schon längst an das sterile, flackernde Licht gewöhnt, das jede Nacht aus den Häusern in die dunklen Straßen und Gärten sickerte: Das Strahlen Hunderttausender Internet- und Computermonitore. Die Franzosen wiederum hatten eine niedrigere Kriminalitätsrate als die Amerikaner. Deshalb konnten sie es sich leisten, einerseits mit ihrer Straßenbeleuchtung zurückhaltender zu sein, andererseits ihrer typischen Abneigung gegen Vorhänge in stärkerem Maße nachzugeben, sodass man den Lichtschein dieser Monitore – die in Frankreich so allgegenwärtig waren wie in den Vereinigten Staaten und überall sonst in der digitalen Welt – mehr als nur wahrnahm: Er beherrschte das Bild.
Als wir uns Paris näherten, ballten sich die Wohn- und Schlafstädte unter uns immer dichter, und der Lichtschein der zahllosen Monitore verstärkte sich. Malcolm und ich sahen vom Bug des Schiffes aus zu, wie die Landschaft unter uns vorbeizog. Bald darauf gesellte sich Julien zu uns, der natürlich am meisten Grund hatte, bei diesem Anblick deprimiert zu sein. Fouché gestand, er habe sich schon vor langer Zeit damit abgefunden, dass sein Heimatland trotz aller anders lautenden Behauptungen und Beteuerungen ebenso empfänglich für die Heimsuchungen des Informationszeitalters sei wie jedes andere; was seine Emigration provoziert habe, sei vielmehr die fortgesetzte Leugnung dieser Tatsache seitens seiner akademischen Kollegen und der Intellektuellen überhaupt. Aber solche Erklärungen machten den Anblick dieses endlosen, strahlenden Beweises für den festen Platz seines Heimatlandes in der Gemeinschaft der modernen Technostaaten auch nicht erträglicher.
»Man versucht, es mit philosophischer Gelassenheit zu nehmen«, sagte er, verschränkte die Arme und strich sich mit einer Hand durch den Bart. »Aber die Philosophie verschärft die Anklage nur. Habt ihr Camus gelesen? ›Ein einziger Satz wird ihnen zur Beschreibung des modernen Menschen genügen: Er hurte und las die Zeitungen.‹ Ich glaube, wir müssen diesen Satz jetzt ein bisschen abwandeln: ›Er masturbierte und wählte sich ins Internet ein.‹« Fouché zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Aber vielleicht ist die Reihenfolge der Aktivitäten in dieser Aussage falsch, hm?« Er deutete ein Schmunzeln an über den unter anderen Umständen vielleicht amüsanten Gedanken; aber in diesem Moment konnten weder er noch ich – und ganz gewiss nicht Malcolm – die richtige Begeisterung dafür aufbringen.
Etliche schweigsame Minuten später kam Larissa herein und brachte Neuigkeiten, die zwar nicht gerade aufmunternd, aber immerhin einigermaßen ermutigend waren: Tarbell hatte einen Mann in der Umgebung von Paris identifizieren können, der regelmäßig gestohlene technologische Geheimnisse und hoch entwickelte Waffen über den Mossad an die israelische Regierung verkaufte. Da Eshkols Flugziel Paris gewesen war, lag es mehr als nahe, dass er mit diesem Mann Kontakt aufnehmen würde, der Leons Recherchen zufolge nahezu jede Art von Waffen und militärischer Ausrüstung beschaffen konnte – einschließlich miniaturisierter Atombomben. Der Händler wohnte in der Nähe der mittelalterlichen Stadt Troyes in der Champagne südöstlich von Paris auf einem weitläufigen Anwesen am See, wo er auch seine Geschäfte abwickelte. Deshalb behielten wir unsere Richtung bei und beschleunigten unser Tempo. Uns war vollkommen klar, dass der Händler eine Begegnung mit Eshkol wohl kaum überleben würde. Doch so sehr wir uns auch beeilten, wir waren nicht schnell genug. Unser Schiff hatte kaum die sanft gewellte Landschaft in der Umgebung von Troyes erreicht, als Leon erste Meldungen der französischen Polizei über einen Mord im Haus des Waffenhändlers auffing. Angesichts des Berufs des Opfers wurde die Angelegenheit sehr diskret gehandhabt, obwohl die Polizei sogar in ihrem (angeblich) abhörsicheren Nachrichtenverkehr zugab, dass sie keinerlei Spuren hatte: Offenbar ließen sich die Israelis Zeit mit der Bestätigung, dass sie umfangreiche Geschäfte mit dem Toten getätigt hatten und dass einer ihrer eigenen Agenten überdies für seinen Tod verantwortlich gewesen sein könnte. Uns blieb nichts anderes übrig, als unsere Überwachungsanlage darauf zu programmieren, sämtliche Verkäufe von Flugtickets für Reisen von einem französischen Flughafen aus zu registrieren; dieses Material würden wir dann nach dem von Tarbell und den Kupermans entwickelten System mit anderen Datenbanken
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