Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein
als der exotische Zauber eines anderen Denkens bezeichnet wird – die Grenze unseres Denkens: die schiere Unmöglichkeit, das zu denken.« Foucault zitiert Borges, der in seinem Text Franz Kuhn zitiert, von dem er den Hinweis auf »eine gewisse chinesische Enzyklopädie« habe. Das erste Zitat ist echt, das zweite nicht. Kuhn, den es gab und der ein Übersetzer aus dem Chinesischen war, hat mit keiner chinesischen Enzyklopädie zu tun gehabt. Borges macht ein kleines Spiel mit dem Leser. Der Sinn ist klar: Unsere Ordnungen sind ein Trugbild, sie setzen Rätsel an die Stelle von Rätseln. Die Dinge werden uns ihr Geheimnis nicht offenbaren.
Borges’ fiktionaler enzyklopädischer Eintrag bricht ungefähr jede Regel, an die sich eine Taxonomie halten muss, um den Ordnung suchenden Menschen zu beruhigen. Diese Sehnsucht ist ja alt. Die Vorsokratiker haben das Forschen angefangen. Empedokles glaubte, das Leben habe damit begonnen, dass Gliedmaßen ohne Zusammenhang durch die Welt gewandert seien und sich wahllos zu Lebewesen zusammengefügt hätten. Die meisten seien gestorben, einige hätten überlebt. Und wir sind die Nachkommen. Wenn man heute, 2500 Jahre später, Kinder fragt, wie sie Ordnung in die belebte Welt bringen würden, dann erhält man nicht weniger überraschende Antworten. Es gibt dazu Untersuchungen (Kattmann, Ulrich; Schmitt, Annette: elementares ordnen: WIE SCHÜLER TIERE KLASSIFIZIEREN . In: Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften 2 [1996], S. 21–38). Kinder ordnen zum Beispiel Tiere vor allem nach der Art, sich zu bewegen, und dem Lebensraum. Darin zeige sich, sagen die Forscher, eine »implizite Theorie von der natürlichen Verwandtschaft der Tiere«.
Das Lehrreiche an der chinesischen Enzyklopädie ist ihre umgekehrte Relevanz: Sie ist genau das Gegenteil einer funktionierenden Taxonomie.
Der Rostocker Doktor der Philosophie Ludger Jansen hat in einem kleinen Aufsatz über CHINESISCHE TIERE UND BIOMEDIZINISCHE DATENBANKEN. LOGISCHE UND TECHNISCHE BEDINGUNGEN WISSENSCHAFTLICHER KLASSIFIKATIONEN in Umkehrung von Borges’ Liste die Eigenschaften gesammelt, die eine gute Taxonomie haben muss:
1. Strukturiertheit
2. Disjunktivität
3. Exhaustivität
4. Verzicht auf Ambiguität
5. Einheitlichkeit
6. Keine Meta-Kategorien
7. Explizitheit und Präzision
8. Ontologische Fundierung
Wenn Sie wissen wollen, was das bedeutet, empfehle ich Ihnen, sich den Text zu besorgen und nachzulesen. Das ist hier wirklich nicht der Ort, um darzulegen, dass Tiere, die dem Kaiser gehören, auch gezähmt sein können und ihre Nebeneinanderstellung darum dem Prinzip der Disjunktivität widerspricht.
In der Biologie, und für die interessieren wir uns ja hier, gilt diese Taxonomie:
Regnum
Diviso/Phylum
Subphylum
Classis
Ordo
Superfamilia
Familia
Subfamilia
Tribus
Genus
Species
Subspecies
Nehmen wir mal das Leberblümchen. Ein bescheidener Frühjahrsblüher, zwischen zehn und zwanzig Zentimeter hoch, mit einer auffallend hübschen kleinen Blüte. Es gibt Leberblümchen in einer fast unvorstellbar großen Zahl von Varianten. Die meisten stammen aus Japan. Von ‘Akafuku’ bis ‘Yukikomachi’ gibt es über tausend verschiedene Leberblümchen. Die deutschen Züchtungen tragen prosaischere Namen wie ‘Roter Spätzünder’, ‘Weiße Unschuld’ oder ‘Wunschpunsch’. Aber egal, wie sie heißen, die Blüten sind wirklich bemerkenswert schön. Und die Vielfalt der Formen und Farben ist geradezu überwältigend. Leberblümchen haben nur zwei Nachteile: sie sind, wie bereits erwähnt, sehr, sehr klein und dafür sind sie dann sehr, sehr teuer. Die Sorte ‘Momosango’, die entzückende rosafarbene Blüten mit einem überraschend grünen Auge in der Mitte trägt, kostet 200 Euro. Das ist für eine fünfzehn Zentimeter große Blume nicht gerade ein Schnäppchen. Und die Sorte ‘Unshin’ kostet sogar 250 Euro, sieht dafür allerdings auch aus wie ein kostbares Kleinod aus der Schatulle eines Prinzen des untergegangenen Mogulreichs. So ungefähr.
Also, das Leberblümchen gehört zum Reich der mehrzelligen Pflanzen, zur Divisio der Magnoliophyta, Subdivisio Magnoliophytina, zur Classis der Ranunculopsida, Subclassis Ranunculidae, zur Superordo der Ranunculanae, Ordo Ranunculales, Subordo Ranunculineae, zur Familia der Ranunculaceae, Subfamilia Ranunculoideae, zum Tribus der Anemoneae, zum Genus der Anemone. Und erst jetzt, da wir zur Art kommen, zur Species, heißt das
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