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Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein

Titel: Die Tage des Gärtners - vom Glück, im Freien zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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sich über neun Quadratkilometer. Das ist wirklich viel.
    Bei mir hat es genügt, den Rosenstock mitsamt Wurzeln und Hallimasch auszugraben und den Boden im Umkreis von einem Meter auszutauschen. Damit war das Problem erledigt. Beim Giersch war das nicht so einfach. Der Kampf gegen den Giersch hat Jahre gekostet. Darum nehme ich das Thema auch sehr, sehr ernst und empfehle Ihnen dringend, es ebenso ernst zu nehmen.
     
    Was wir unter Giersch verstehen, ist eine Art der Doldenblütler, das Aegopodium podagraria, also etwa der gichtheilende Ziegenfuß.
     
    Eine alte Heilpflanze, die vitaminreich ist, gegen Gelenkschmerzen helfen soll und als Salat angeblich schmackhaft ist. Meinetwegen. In Wahrheit handelt es sich um den schlimmsten Feind Ihres Gartens! Das Zeug verbreitet sich über Rhizome. Und auch wenn Sie vom Poststrukturalismus mehr verstehen als vom Gärtnern und bei dem Wort Rhizom zuerst an Guattari und Deleuze denken, dann liegen Sie, was die Komplexität des Sachverhalts angeht, schon ziemlich richtig. Das Problem an Rhizomen ist, dass ein kleiner Krümel ausreicht, eine neue Pflanze zu bilden. Sie reißen den Giersch heraus, und bleibt auch nur ein noch so kleines Stück des weißlichen Rhizomfadens in der Erde, war Ihre Mühe umsonst. Der Giersch kennt, auch da eine gut poststrukturalistische Pflanze, kein Zentrum, sondern nur ein wucherndes Netz. Er breitet sich aus und begräbt alles unter sich. Es gibt, glaube ich, in meinem Garten nur eine einzige Pflanze, gegen die der Giersch machtlos war: Geranium macrorrhizum, der Balkan-Storchschnabel mit seinen träumerisch duftenden, pelzigen Blättern. Er bildet selber Rhizome, ist aber weitaus standorttreuer als der wandernde Giersch.
    Wie ich den bösen Feind geschlagen habe? Handarbeit. Faden für Faden. Mit Geduld und Hartnäckigkeit und der Hilfe einer treuen Gärtnerin. Über mehrere Jahre. Alles andere war vergeblich. Es gibt Gifte, die man auf die Blätter des Unkrauts streichen soll, damit die Pflanze vergeht. Das Zeug hemmt die 5-Enolpyrovylshikimat-3-Phosphatsynthase, keine schöne Sache für die Pflanze. Der Chemie-Riese Monsanto stellt es her. Es wird auch in der Landwirtschaft gebraucht. Monsanto hat für Landwirte auch gentechnisch verändertes Saatgut im Angebot, das für dieses Gift weniger empfindlich ist. Alles sehr praktisch. Aber in Ihrem Garten haben Sie solche gentechnisch veränderten Pflanzen vermutlich nicht. Die Verwendung dieses Giftes ist darum erstens heikel, weil die Gartenpflanzen bei Berührung ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden, und im Fall des Gierschs ist sie zweitens auch unsinnig, weil eine solche rhizomatische Pflanze eben gar kein Zentrum hat, an dem man sie töten könnte. Der Giersch ist sozusagen im Ganzen das Problem.
     
    Ganz vergeblich ist es darum auch, die ungeliebte Pflanze Stengel für Stengel herausreißen zu wollen. Da lacht der Giersch. Und macht unterirdisch einfach weiter.
     
    In seinen gesunden, prallen, weißen Rhizomen steckt mehr Kraft, als Sie ihm beim Abreißen der oben sichtbaren Blätter rauben können. Vergessen Sie all das. Es ist eine Frage des Willens. Sie müssen den eisernen Entschluss fassen, diese Pflanze zu bekämpfen. Und ich hatte einen solchen Entschluss gefasst, meinen Garten nicht dem Unkraut zu überlassen, das meine Vorgänger aus Desinteresse oder Fahrlässigkeit wuchern ließen.
    Und dann habe ich mich mit kleinem Gerät durch die Beete gearbeitet. Drei Jahre lang.
    Wenn Sie nicht wissen, wo Sie anfangen sollen, nehmen Sie sich die Marineflieger der Luftrettung als Vorbild, oder – da gibt es ja Ähnlichkeiten – die Taucher: Wenn man von oben kommt und etwas sucht, einen im Ozean treibenden Schiffbrüchigen, eine verlorene Harpune oder eben ein Stück Giersch im Erdreich, dann kann man sich zweier grundlegender Suchmuster bedienen: man kann spiralförmig von einer angenommenen Mitte ausgehen und die abgesuchte Fläche immer weiter ausdehnen. Oder man kann an einem Ende der vorliegenden Fläche beginnen und diese dann nach einem S-förmigen Muster absuchen.
    Vielleicht mag sich der Gärtner lieber mit einem Taucher vergleichen als mit einem Flugzeug. Also hier das Beispiel aus der Sicht des Tauchers: vom Mittelpunkt aus einen Flossenschlag vorwärts, rechts abbiegen, einen Flossenschlag vorwärts, rechts abbiegen, zwei Flossenschläge vorwärts, rechts abbiegen, zwei Flossenschläge vorwärts, rechts abbiegen, und dann der Spirale folgen, drei, drei, vier, vier,

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