Die Tage sind gezählt
mich zurückhalten, verstanden?«
Van nickte stumm und mit großen Augen. Lionne sagte nichts, und als ich ihren Blick suchte, konnte ich in ihrem Gesicht nicht die geringste Muskelbewegung ausmachen. Meine Bosheit verflüchtigte sich und erzeugte eine Müdigkeit, die mich lustlos werden ließ.
»Er ist jetzt gesund«, murmelte ich, wütend über meine Reaktion. »Verfügt ihr in diesem Viertel über ein Glas Whisky?«
Lionne wandte sich um und machte sich an einem halbzerfallenen Schrank zu schaffen. Sie förderte eine Flasche zutage, in der eine dunkle Flüssigkeit schwappte, und dazu drei Gläser. Der alte Neger lag besinnungslos auf seinem Bett. Schon allein deshalb hatte er nichts dagegen, daß wir einander zuprosteten.
»Seit dem Tod unserer Eltern haben wir so etwas nicht mehr getrunken«, sagte Van auf einmal. Er hatte noch immer glasige Augen, und das Glas in seiner Hand zitterte.
»Ihr seid viel zu sentimental«, sagte ich. »Ich verstehe das nicht, verflucht. Ich verstehe gar nichts mehr.«
Theodore, dachte ich. Theodore, deine Tage sind gezählt.
Während der Gedanke wie bei einem Echo hohl in meinem Bewußtsein widerklang, fühlte ich eine starke Befriedigung. Ich ging durch die luxuriösen Korridore des Staatspalastes. Neben mir: die präzis abgemessenen Schritte zweier Leibwächter und das Getrippel des jungen Arztes, den ich vorher nur zweimal gesehen hatte. Als hätte Wiesel Driesel gerochen, was ich vorhatte. Ich glaube jetzt, daß er es wußte, auch wenn er selbst nicht dabeigewesen ist.
Es war still in Theodores Zimmer. Nichts deutete darauf hin, daß es hier von Überwachungsgeräten nur so wimmelte und vor der Tür zwei schwerbewaffnete Männer warteten.
Als Theodore mich ansah, schoß mir das Blut ins Gesicht. Obwohl ich genau wußte, daß man es mir nicht ansehen konnte, hatte ich den Eindruck, als sehe er durch meine Maske hindurch. Eine Sekunde lang wußte ich , er würde die Wachen rufen, und ich wollte gerade auf gut Glück nach ihm greifen, als er mich zu sich heranwinkte. Er war ein kleiner Mann und wurde allmählich kahl. Er hatte unscheinbare braune Augen, kleine Hände und eine große, gebogene, stark von Adern durchzogene Nase. In diesem Moment sah er überhaupt nicht beeindruckend aus. Ich hatte eher den Eindruck eines Berges, dessen Spitze aus dem Nabel ragt.
»Dein Name, Junge«, sagte er, als hätte er keine Ahnung, wie ich heiße. Er wollte den Klang meiner Stimme hören, wollte mit diesem bißchen an Information die erste Stufe zu meiner Entlarvung betreten.
»Drech«, sagte ich.
Er nickte in einer Art, als würde er sich selbst etwas bestätigen. Dann warf er einen schnellen Blick auf die Gorillas. Er sagte kein Wort dabei, aber mir schien, daß er zwinkerte, während sein Kopf unbeweglich blieb. Offenbar war er sehr nervös.
»Und Sie, Doktor?« fragte er dann. »Was werden Sie währenddessen tun?«
»Ich achte darauf …, daß der Eingriff ohne Komplikationen verläuft«, erwiderte der junge Bursche nervös. Er war älter als ich; aber er hatte das Gesicht eines Schulbuben. Und er war nervös. Er machte eine Bewegung, als wolle er ein Taschentuch hervorziehen, unterließ es aber dann doch. Statt dessen blickte er starr auf seine Hände und versteckte sie dann in den Taschen.
»Ich … kontrolliere Ihren physischen Zustand während des Eingriffs«, fügte er schluckend hinzu. Dann, schneller, als würden seine grabenden Hände Kraft zu seinem Herzen pumpen: »Es ist eigentlich wenig zu tun. Der Eingriff ist sehr einfach für Drech. Ich behalte die Sache nur im Auge.«
»Ich weiß«, erwiderte Theodore und zwinkerte dem Arzt zu. Diesmal schien es jedoch nicht spaßig gemeint zu sein. »Wollen wir dann anfangen?«
Ich haßte diesen Mann, und ich zweifle noch jetzt daran, ob er nicht von Anfang an alles gewußt hat. Leute wie Theodore überlassen nichts dem Zufall. Er mußte wissen, daß es in erster Linie seine Bomben gewesen waren, die mich zu dem machten, was ich jetzt bin.
Heute frage ich mich, ob es nicht sein Entschluß gewesen war, Selbstmord zu begehen. Aber andererseits – warum sollte er das vorgehabt haben? Er besaß alles, wirklich alles, warum also? Und ich tötete ihn. Auch jetzt, in diesem Moment, wo ich dies alles niederschreibe, kann ich mich gut an das Gefühl der Genugtuung erinnern, das mich damals erfaßte, an die Rache, auf die ich so lange gewartet hatte.
Niemand wußte, was ich den Krebszellen verdankte, daß sie es gewesen waren, die
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