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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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explodierte eines der Tore in einem Strom blauen Feuers. Ein wirbelnder Funkenregen entstand, und plötzlich sah er zwischen den Felsen schattenhafte Gestalten tanzen.
    Tassanein zitterte vor Angst. Fasziniert und unfähig, einen Muskel zu rühren, starrte er auf den Wirbel, der jetzt zur Ruhe kam und sich zu zwei Gestalten verfestigte. Ihr Geruch erreichte ihn. Er fröstelte. Es waren die Urgerüche, die grünen Ausdünstungen der alten Zeiten, in denen die Sonne noch heller und gelber über den Himmel gewandert war. Tassanein begann beinahe wie ein denkendes Wesen zu reagieren, so stark wurde die Erinnerung … Aber die Gedanken huschten wieder von ihm fort. Er war ein Tier und hatte niemals gelernt, etwas anderes zu sein.
    Eines der Wesen beugte sich zu ihm herab. Eine riesenhafte Hand hob ihn in die Nähe des fremdartigen Gesichts. Götteraugen schauten in die seinen. Er zitterte. Finsternis strömte in sein Gehirn.
    Die Wesen unterhielten sich in der Ultrasprache, einer übermenschlichen Verständigungsweise, in der die Worte selten länger als eine Sekunde die gleiche Bedeutung hatten.
    »Ist dies das, was wir einst sein werden?«
    »Ohne Zweifel. Sieh hier – der Aufbau seines Skeletts. Es ist dasselbe wie unseres.«
    »Ja.«
    Tassanein fröstelte erneut.
    »Ist es … ein Tier?«
    »Ich fürchte, ja. Sie sind ziemlich heruntergekommen seit unserer Zeit.«
    »Aber aus welchem Grund? Wir besitzen alles. Das Universum paßt auf die Fläche unserer Hände. Wir können selbst in der Zeit reisen.«
    Der andere zuckte die Achseln. Es war eine seltsame, beinahe menschliche Gebärde. Er deutete auf das flache Land, auf den fahlen Himmel.
    »Die meisten Sterne haben aufgehört zu leuchten. Der Kosmos kühlt sich ab. Hier lebt nur noch die Sonne. Und sie wird unzweifelhaft künstlich am Leben erhalten.«
    »Du meinst, sie konnten es einfach nicht mehr ertragen? Daß sie sich, weil sie als denkende Wesen das Ende der Zeit nicht mitansehen wollten, zu Tieren zurückentwickelt haben?«
    »Ja. Und vergiß nicht seine Größe. Sein Nervensystem muß viel komplizierter sein als das unsere.« Die Geisteskräfte des Wesens untersuchten die Nervenbahnen Tassaneins.
    »… vier Fünftel davon liegen brach. Er schläft , liegt in einer tiefen Hypnose, die ihn nicht mehr als ein Tier sein läßt.«
    »Kannst du diesen Trancezustand nicht durchbrechen? Und ihn zu einem denkenden Geschöpf machen?«
    »Sicher. Aber sollten wir das wirklich tun? Sie hatten ihre Gründe, zu Tieren zu werden. Die Situation hat sich nicht geändert. Dies ist das Ende der Zeit. In der Zukunft wartet auf sie nichts außer der Finsternis.«
    »Weck ihn auf. Selbst aus dem Untergang des Universums kann man eine Erfahrung ziehen. Das Leben eines Tieres dagegen ist nur ein oberflächlicher und nutzloser Traum.«
    Tassanein erwachte in einem intensiven Angstzustand. Seine Augen rollten wild in ihren Höhlen. Nur mit Mühe erkannte er seine Umgebung. Das Nest. Die steinerne Blume. Sein Symbiont, das kleine Wesen, das sie ihm zurückgelassen hatten, streichelte ihn.
    »Ruhig, Tassanein, ruhig«, sagte es. »Es war nur ein Traum, eine uralte Erinnerung.«
    Tassanein schüttelte den Kopf. »Ja … eine Erinnerung. Sie gaben mir Gedanken und Worte. Und dich, um die Worte gebrauchen zu können, um dir meine Gedanken mitzuteilen. Vielleicht gaben sie dich mir auch, damit wir gemeinsam das Licht genießen können, das immer schwächer wird und eine einschläfernde Ruhe erzeugt.«
    Der Symbiont erwiderte: »Sie sind zum Mittelpunkt der Zeit zurückgekehrt. Dorthin, wo die Sonne noch gelb ist und der Mond kein Ring um die Erde. Und du wolltest nicht mit ihnen gehen.« Der Tonfall, in dem er das sagte, klang wie ein Ritual.
    »Natürlich nicht. Ich will sehen, wie es zu Ende geht, hier, in meiner eigenen Zeit. So wie die Felsen und Ozeane. Die Dinge verändern sich nicht schnell genug. Früher war das Land rot. Nun beherrscht die silberne Glut den Tag.« Tassanein reckte sich. Es war eine katzenhafte Bewegung. »Und doch mache ich mir Sorgen. Meine Denkfähigkeit wird schwächer. Ein einziger Stoß kann in mir alles zum Erlöschen bringen. Und dann werde ich wieder ein Tier sein.«
    »Es werden keine unerwarteten Ereignisse eintreten«, flüsterte der Symbiont. »Solche großen Veränderungen dauern Ewigkeiten.«
    »Ich weiß nicht. Die Welt ist immer wieder groß und fremd. Das Leben kommt nicht zur Ruhe. Ich bin der letzte meiner Rasse. Was nicht heißen soll, daß die

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