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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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den Bändern, die mich langsam zu ersticken drohten. Jedenfalls meinte ich das damals.
    In den Augen des Mannes las ich eigentlich nichts außer einer Art milden Entsetzens. Offenbar glaubte er in mir eine Art Zeichen guten Willens gesehen zu haben, ein Zeichen seines Gottes, das ihm Aufschluß über dessen wirkliche Existenz gab.
    »Sag es nur«, stieß ich mühsam hervor, »sag es nur. Sag ihr, daß ich sie liebe, auch wenn sie mich in den letzten beiden Monaten nicht mehr als zehnmal angesehen hat, und auch, daß sie für mich eine Fremde blieb. Sag ihr, daß ich sie liebe, versprichst du das?«
    Er nickte wortlos.
    »Gut«, sagte ich, »gut.«
    Ich schloß die Augen, prüfte mich selbst – ich war verbitterter als je zuvor –, sprang zu ihm hinüber und riß den Tumor heraus, reinigte ihn, und ich weiß nicht, was er fühlte, während ich es tat, aber als ich meine Augen wieder öffnete, standen Tränen in den seinen.
    Ich ging zur Tür, wies auf den Leichnam Vans und sagte: »Wenn ich einer von euch wäre, würde ich ihn aufessen. Wenn ich er wäre, würde ich stolz darauf sein, auf diese Art dabei zu helfen, die Freiheit des Negervolkes wieder zu erkämpfen.«
    Er bewegte sich immer noch nicht. Lediglich zwei Tränen krochen über seine Wangen. Es sah idiotisch aus, bei einem solch großen Mann.
    Die Bullen haben mich nicht vergessen. Das Gerücht, ich sei zurückgekehrt, hat sich ziemlich schnell verbreitet. Ich gerate täglich stärker ins Rampenlicht, klar. Meine jetzige Adresse ist nicht übel, aber ich werde trotzdem in drei Tagen weiterziehen. Hier, in den weißen Hinterhofvierteln von Thruway , gehe ich ein zu großes Risiko ein. Mir können nur die gefährlichen, radioaktiv verseuchten Gebiete im Landesinneren eine Chance bieten.
    Das einzige, das ich vermissen werde, werden die Zeitungen sein. Nur selten werde ich an eine herankommen, sie tauchen nur sporadisch auf. Die Niggerstadt innerhalb von Thruway wird in ihnen natürlich nicht erwähnt. Ich kann nur hoffen, daß die jungen Generale, die Theodores Nachfolge angetreten haben, sich endlich dazu durchringen, Nägel mit Köpfen zu machen, anstatt die Schwarzen in ihrem Würgegriff langsam krepieren zu lassen.
    Ich wünsche auch den Schwarzen eine schnelle Aktion, einen kurzen Schmerz, wenn es nicht anders geht, und einige Weißnasen, die sie mitnehmen werden in den Tod. Der Kampf um ihre Freiheit wird Menschenleben kosten, aber er wird besser sein als dieser langsame, apathische Hungertod.
    Und er wird auch besser für dich sein, Lionne, auch wenn ich dich nie gekannt habe.

    Übersetzt von Ronald M. Hahn

Thijs Van Ebbenhorst-Tengbergen
Deine Liebe ist keine steinerne Blume
    Von allen Farben, in denen die Erde einst geleuchtet hatte, war nur das Rot übriggeblieben: rostfarbener Sand unter einem rostigen Himmel über Landstrichen mit der Farbe des Granatsteins, Gezeitenwechsel aus dunklem Blut. Nur der Bergrücken, der sich von Horizont zu Horizont dahinzog, glühte in einem bleichen, perlmuttähnlichen Schein. Vor einer Milliarde Jahren war der Mond auseinandergebrochen: Er umzog die Erde nun als Ring, der imposanter war als der des Saturn. Der herabgefallene Staub diente den Fusionsmikroben als Nahrung, die leuchteten wie Tiefseefische.
    Rubinrot schimmernde Lichtfinger tasteten sich wie Scheinwerferkegel durch den Nebel. Tassanein reckte sich unter der Kraft ihrer Wärme und erhob sich auf die Hinterbeine. Aus der Ferne wirkte er beinahe wie ein Mensch; ein Eindruck, der sich aus der Nähe nicht länger aufrechterhalten ließ.
    Zwischen den Felsen stieß ein Kriecher einen die Stille durchbrechenden, schrillen Schrei aus. Tassanein ließ sich wieder auf alle viere nieder, wobei seine Menschenähnlichkeit entschwand. Jetzt war er wieder ein Tier – und nichts anderes. Mit gespannten Beinmuskeln rannte er in langen Sätzen an der Wasserlinie entlang. Die steinerne Blume, in der er lebte, verschwand hinter einer Felswand. Abrupt blieb er stehen. Er verlor das Nest nicht gerne aus den Augen, aber der Hunger überwand schließlich doch seinen Zweifel. Seine Mägen waren zusammengeschrumpft und kaum noch größer als eingeschrumpelte Erbsen.
    Er kam nun an den Toren vorbei, deren schwarze Steinmassen ihn, obwohl er nichts über sie wußte, stets mit einem starken Gefühl körperlichen Unwohlseins erfüllten. Als er an ihnen vorbei war, hörte er hinter sich einen hellen Klang. Er wandte sich mit rasender Schnelle um, und genau vor seinen Augen

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