Die Tage sind gezählt
Exemplar deiner Bücher in die Finger bekommen haben.«
»Ja.«
Frantignac. Ach nein …
»Die Werke René Deschamps wiederum erschienen in keiner französischen Verlagsanstalt«, meinte Leon.
»Auch nicht?«
»Nein.«
»Und wie kommst du an die Sammlung?«
»Hat man mir aus Kanada zugeschickt. Der Schriftstellerverband.«
»Oh.«
»Das kann dich ʼne Menge Geld kosten, Maurice …«
»Keinen Pfennig wird es mich kosten, verflucht noch mal«, erwiderte Maurice hart. »Ich habe von diesem Deschamps noch nie gehört. Ich wußte bisher nicht mal von seiner Existenz. Vielleicht … ist das alles nur ein Witz?« meinte er ziemlich hoffnungslos.
»Glaubst du?«
»Wenn, ist es ein teurer Witz. So ein Buch drucken zu lassen, kostet ʼne Menge.«
»Und wer sollte dir so etwas antun?«
»Ich weiß nicht. Ich kenne niemanden, höchstens Oscar.«
»Oscar Delarusele?«
»Hm. Er steht in dem Ruf, solche Scherze zu produzieren, aber …«
»Er ist seit über einem Jahr tot«, sagte Leon nüchtern.
»Das stimmt nun auch wieder.« Maurice wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
»Nun?« fragte Leon.
»Nun? Ich bin wohl ganz einfach erledigt. Mein Name ist kaputt. Ich …«
»Sachte, Maurice, sachte.«
»Sachte! Sag es doch! Wie kommt man sich vor, wenn man sich das ganze Leben lang abgerackert hat, und plötzlich kommen sie und werfen dir dein Lebenswerk vor die Füße und behaupten, ein ganz anderer habe es geschrieben? Denk doch mal nach! Es handelt sich um Bücher, die ich in den letzten fünf Jahren geschrieben habe! Und doch sollen sie schon 1950 erschienen sein? Verlangst du von mir, daß ich dabei ruhig bleibe?« Er war aufgestanden und marschierte wütend in dem kleinen Büro auf und ab.
»Tja.«
»Weißt du einen Ausweg, Leon?«
»Ehrlich gesagt, mein Bester: Nein«, gab Leon zu.
»Grummel! Brummei! Gib mir noch ʼn Fusel.«
»Es wird schon alles wieder ins reine kommen«, sagte Leon ohne große Überzeugung, während er einschenkte.
»Ach hör auf. Ich habe nicht mal den Schimmer einer Chance. Bei diesem Datum muß jeder Anwalt klarsehen! 1950 … nein, du kannst es dir sparen, mich zu trösten. Meine Laufbahn ist damit beendet.« Maurice trank wehmütig sein Glas leer. Er schien auf einmal um zehn Jahre gealtert.
Um zwei Uhr nachts taumelte Maurice aus der letzten Bar. Der Alkohol hatte ihn dennoch nichts vergessen lassen. Im Gegenteil. Überall aus der ihn umgebenden nebelhaften Landschaft grinste ihm das Gesicht René Deschampsʼ entgegen. Er sah etwas älter aus als Maurice, trug eine schwarzumrandete Brille und hielt seine Hand triumphierend über einen großen Bücherstapel.
Irgendwie gelangte er nach Hause. Er wankte in sein Arbeitszimmer, drehte mit ungelenken Fingern ein Blatt Papier in die Schreibmaschine und begann wütend draufloszuschreiben. Nach einem Augenblick hielt er inne, fischte eine noch halbvolle Whiskyflasche aus dem Regal, schenkte sich ein Glas voll und machte weiter.
»Maurice!«
Im Türrahmen stand Liliane; seine Liliane, die er in seinem Zustand nicht so gerne sah.
»Was ist nun schon wieder los?«
»Geh ins Bett, Maurice«, sagte sie sanft. »Komm, es ist gleich drei Uhr. Und stell die Flasche weg. Komm, Maurice.«
Er lachte. »Ich soll sie wegstellen? Sie ist leer.«
»Leer?«
»Leer. Hast du noch eine?«
»Nein.«
»Hast du doch«, behauptete er stur. »Du hast sehr wohl noch eine. Das sehe ich deinem Gesicht an.«
»Geh jetzt schlafen. Was du jetzt schreibst, kannst du doch nirgendwo loswerden.«
»Oh, doch!« sagte er grimmig und genoß sein Selbstmitleid. »Ich schreibe etwas Originelles.« Er stand auf, zog das Blatt aus der Maschine und schwenkte es triumphierend durch die Luft. »Die erste Geschichte, die Maurice Lafleur in zwanzig Jahren nicht geschrieben hat«, deklamierte er. »Kauft sie! Verwahrt sie! Sie ist nur in einem Exemplar vorhanden!«
»Du bist besoffen, Maurice.«
»Wer? Ich?«
»Ja, du. Sieh mal, ich weiß genau, daß du nichts abgeschrieben hast …«
Es klingelte. »Geh du ins Bett!« sagte Maurice im Befehlston, »ich werde mit diesem Nachtgespenst schon abrechnen …«
Liliane zuckte die Achseln und verschwand. Maurice öffnete. »Herr Lafleur?« fragte der Besucher, ein schüchtern aussehender junger Mann.
»Ähm«, machte Maurice unentschlossen und wies ihn wortlos herein. Der junge Mann blieb verlegen stehen und drehte dabei einen Hut zwischen den Fingern. »Ich hoffe … daß ich Sie nicht
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