Die Tage sind gezählt
störe?«
»Natürlich nicht«, sagte Maurice übertrieben freundlich. »Nehmen Sie doch Platz.«
»Vielen Dank«, sagte der junge Mann.
»Sie waren sicher mal bei den Nachtjägern?« fragte Maurice bösartig.
»Wie? Äh … entschuldigen Sie …«
»Schnäpschen?«
»Nein, vielen Dank.«
»Die Flasche ist sowieso leer. Meine Frau hat zwar noch eine, aber die hat sie versteckt. Ich sah es ihrem Gesicht an. Diese Hexe. Sind Sie verheiratet?«
»Jawohl«, erwiderte der junge Mann verwundert.
»Dummkopf«, sagte Maurice mitleidig. »Nun, dann kommen Sie mal zur Sache.«
»Ich bin seit einigen Tagen in Paris, Herr Lafleur, und … ich bin ein großer Bewunderer Ihres Talents. Ich …«
»Kaum zu glauben.«
»Äh? Nun ja. Nun, ich kam zufällig durch diese Straße und sah noch Licht brennen. Da faßte ich mir ein Herz …«
»Was wollen Sie?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht … Ein Autogramm, und dazu ein paar Worte …«
»Gemacht«, sagte Maurice, nun rot anlaufend. »Ein Autogramm und ein paar markige Worte des berühmten Maurice Lafleur. Von mir, wie?«
»Ja, warum …«
»Warten Sie«, sagte Maurice. Er stand auf und riß mit einem Griff einen ganzen Bücherstapel aus dem Regal und warf ihn dem jungen Mann in die Arme. »Hier«, sagte er, »das ist für Sie. Sie können damit Ihren Kamin anheizen, wenn Sie wollen. Es sind alles Vorzugsausgaben, numeriert und handsigniert. Bitte schön.«
»Ich … ich …«, stotterte der verblüffte Besucher.
»Raffen Sie den ganzen wertlosen Schund zusammen und machen Sie, daß Sie rauskommen!« brüllte Maurice.
»Wie kann ich Ihnen dafür nur danken, Herr Laf …«
»Tschüs!« Die Tür knallte zu. Maurice strich sich schluchzend mit den Fingern durchs Haar. Als der offenstehende Schrank in sein Blickfeld kam, schloß er ihn wieder ab. Eine halbe Minute lang blieb er murmelnd stehen. Erst dann erfolgte eine Reaktion. Er stapfte resolut zum Telefon und klingelte Leon aus dem Bett.
Ihm war alles egal, auch wenn Leon die Hölle losbrechen ließ, wenn er ihn mit seinem fetten Wanst aus den Federn jagte. Warum er ihn weckte? Um einen Platz in der ersten Maschine nach Kanada zu buchen, verstanden? Um fünf Uhr? Maurice sah auf die Uhr. Okay!
Er legte auf, warf einige saubere Hemden und ein Paket Taschentücher in einen Koffer und bestellte ein Taxi für vier Uhr. Dann legte er den Kopf in die Hände und schlief, bis der Taxifahrer klingelte. Er setzte seinen Hut auf, dachte an Liliane, kritzelte hastig ein paar Zeilen auf einen Zettel und schob es unter ihrer Schlafzimmertür hindurch.
»Flughafen Orly«, sagte er dann. »Und schnell.«
Im Flugzeug, nach einem angenehmen Schläfchen und einigen Kopfschmerztabletten, ordneten sich seine Gedanken wieder. Er erinnerte sich, vor ein paar Jahren irgendein Science Fiction-Magazin gelesen zu haben, in dem zwei Erfinder zur gleichen Zeit die gleichen Dinge erfunden hatten. Gedankenübertragung. Das klang natürlich sehr hübsch und war eventuell auch möglich für eine kleine Erfindung – aber für ein Lebenswerk, die Früchte einer zwanzigjährigen Tätigkeit? Es drang noch etwas anderes, längst Verdrängtes aus ihm hervor. Eine andere Geschichte: Jemand hatte etwas geschrieben, ohne zu merken, daß er es als kleiner Junge bereits anderswo gelesen hatte. Die ganze Zeit über war es in seinem Gedächtnis haftengeblieben …
Hübsche Theorien, aber eben nicht passend auf seinen eigenen Fall. Nein, nein, die einzig wirkliche Lösung dieses Problems war die, den unbekannten René Deschamps aufzusuchen und von ihm persönlich zu erfahren, was hier geschehen war.
He … da auf dem ersten Sitzplatz … War das nicht … Genau. Der junge Mann, der ihn besucht hatte. Und er las wahrhaftig in seinen Büchern. Maurice lachte verdutzt und winkte der Stewardeß.
»Mein Herr?«
»Der junge Mann da vorne … Ja, der mit der Brille. Kennen Sie zufällig seinen Namen?«
»N-nein, aber ich kann in der Passagierliste nachsehen.«
»Sehr freundlich.«
Warum er sie gefragt hatte, wurde ihm selber nicht klar. Vielleicht war es das unbewußte Verlangen nach einem Schwatz mit seinem letzten Bewunderer?
»Ich habe es herausgefunden, mein Herr«, sagte die Stewardeß. »Lafleur.«
Maurice verschluckte sich an seinem Kaffee.
»Lafleur?«
»Ja, mein Herr.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, mein Herr. Sie … heißen auch so, nicht wahr?«
»Eben. Eh … er heißt doch nicht am Ende Maurice Lafleur?«
»Genau, mein Herr.«
Alle
Weitere Kostenlose Bücher