Die Tage sind gezählt
wieder freigelassen.«
»Wie schön. Wie hieß er? Ich meine, der Kerl, den ich bestohlen habe?«
»Lafleur.«
»Wie?«
»Lafleur. Wie du selbst. Maurice Lafleur.«
»Bist du sicher?«
»Du kannst meinetwegen bei den kanadischen Behörden nachfragen, wenn du es nicht glaubst.«
»Glaubst du, er war ein Verwandter?«
»Möglicherweise. Aber dann ein sehr weit entfernt Verwandter. Vielleicht war er auch einfach nur verblüfft, weil du den gleichen Namen trugst wie er, und er hat dich deshalb laufenlassen. Es gibt eine Menge Leute, die solche Zufälligkeiten wichtig nehmen.«
»Ich weiß nichts von einem Familienmitglied in Kanada.«
»Ich auch nicht.«
»Also«, resümierte Maurice nachdenklich, »ich stehle Lafleur zwanzigtausend Dollar. Er kommt her, wird mir gegenübergestellt und zieht dann seine Anzeige zurück und läßt mich obendrein noch das erkleckliche Sümmchen behalten. Mensch, der muß steinreich gewesen sein!«
»Das wird er wohl.«
Maurice tippte träumerisch mit einer Zigarette auf das Gehäuse seiner Schreibmaschine.
»Du könntest einen prächtigen Roman daraus machen«, schlug Liliane vor.
»Meinst du? Voller Geheimnisse und … Aber Liliane, hat dir das eigentlich nichts ausgemacht … als du entdecktest, daß du … äh, mit einem Dieb verheiratet bist?«
»Nein«, sagte sie einfach.
»Nein?«
»Nein. Eigentlich müßte es mir etwas ausgemacht haben, aber … unerklärlicherweise fühlte ich nie den geringsten Grund, dir gegenüber Abscheu zu empfinden. Es war so, als … nun ja.«
Maurice lachte belustigt. »Vielleicht warst du wohl selber an dem Geschäft beteiligt, wie?«
»Es hätte immerhin sein können«, versetzte sie ernsthaft.
»Also«, wiederholte Maurice, eine neue Zigarette anzündend und ein Blatt in die Maschine drehend, »du glaubst auch, daß man aus diesem Thema etwas machen kann? Aus dieser Idee über einen Gedächtnisverlust und ein Verbrechen und so?«
»Ich bin sicher, du machst einen Bestseller daraus«, flüsterte sie.
»Ich hoffe es«, lachte Maurice. »Und nun gieß noch einen Kaffee ein für deinen alten kriminellen Ehemann.«
Also das warʼs. Endlich wußte Maurice Lafleur, was in Kanada geschehen war. Daß die Erklärung seiner Frau nur die erste Episode in einer ganzen Reihe ungewöhnlicher Geschehnisse werden sollte, konnte er damals noch nicht ahnen. Und daß Kanada von nun an in seinem Leben eine gewichtige Rolle spielen würde, auch nicht. Das zweite Mal, daß er an Kanada erinnert wurde, war einige Monate später. Sein Buch über den Mann ohne Erinnerung war gerade erschienen, und von überallher strömten ihm Glückwünsche zu. Er bekam auch Besuch von seinem Kollegen Frantignac, einem etwas in Vergessenheit geratenen bretonischen Schreiberling.
»Sublim, mein Bester, sublim«, begann Frantignac das Gespräch, dabei unentwegt an einer Zigarre nuckelnd.
»Du schmeichelst mir, Frantignac«, meinte Maurice bescheiden.
»Aber ganz und gar nicht, Lafleur, wirklich nicht. Es hat so einen … äh … Ich will sagen, es liest sich so echt. So, als hättest du das alles selbst erlebt.«
Maurice lächelte feinsinnig. »Findest du?«
»Ja.«
»Du hast ein scharfes Auge, Frantignac.«
»Eh? Du willst mir doch nicht erzählen, daß …«
»Doch, genau. Das Buch ist in groben Zügen meine eigene Lebensgeschichte.«
»Na so was!« Frantignac schien das kaum verdauen zu können. Maurice legte ihm die Sache auseinander. Wie seine Frau hatte Nachforschungen anstellen lassen und so weiter. Und wie der Herr mit seinem Namen ihn hatte laufenlassen.
»Hältst du mich für einen ehrlichen Menschen, Maurice?« fragte Frantignac.
»Natürlich.«
»Als ich deinen letzten Roman las, äh … nun, er kam mir sehr bekannt vor.«
»Pardon?«
»Ich dachte … Wo habe ich so etwas schon einmal gehört? Oder … gelesen?«
»Oh, ich weiß, was du meinst! Hervé Bazin hat 1965 etwas in dieser Art geschrieben, auch über einen Verbrecher, der sein Gedächtnis verloren hat. Ein kleines Stück …«
»Nein-nein-nein, das meinte ich nicht.«
»Frantignac«, sagte Maurice ungeduldig, »ich kann dir versichern, daß ich …«
»Oh, Lafleur«, versicherte ihm Frantignac sofort, »es liegt natürlich nicht in meiner Absicht, dich wegen irgend etwas zu beschuldigen! Ich kenne dein Talent. Nein, nein. Vor einem Jahr war ich auf Reisen in Kanada, und wenn ich mich nicht irre, war es dort, wo ich das Ding las. Es hat schon damals einen starken Eindruck auf mich
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