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Die Tage sind gezählt

Die Tage sind gezählt

Titel: Die Tage sind gezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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anziehend, klein und dunkelhaarig, mit dünnen, doch gut geformten Beinen. Sie war keinesfalls – jedenfalls nicht im Vergleich mit den Sexpuppen – eine Schönheit, aber sie war ein lebendiges Wesen, jung – und wahrscheinlich nicht weniger geil als er. Warum sollte sie ihm sonst zugeblinzelt haben? Und dann begriff er endlich, warum sie das getan hatte, so auffallend und dennoch ohne die professionelle Gleichgültigkeit der Frauen eines früher gebräuchlichen Berufsstandes. Sie hatte es getan, weil er ein lebendiger Mann war und sie wahrscheinlich den gleichen Widerwillen gegen die Sexpuppen entwickelt hatte wie er.
    Erik folgte ihr. In ihm wallten Gefühle auf, die er kaum noch zurückhalten konnte. Er holte sie ein, und sie lächelte, als er sie ansprach.
    »Macht es dir Spaß, wenn ich dir nachgehe?«
    Sie war jung genug, um noch die Schönheit der Jugend zu besitzen, und doch zugleich so fortgeschritten in den Jahren, um auf ihren Zügen die nötige Erfahrung zu zeigen. Frauen dieser Altersgruppe zogen Erik am meisten an.
    Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich. Plötzlich verliebte er sich in sie. Er hatte sich zu lange an die Gleichförmigkeit mechanischen Genusses gewöhnt, daß ihm erst jetzt bewußt wurde, wie sehr er die wahre Liebe dabei vernachlässigt hatte. Alles, was er hatte unterdrücken müssen, brach aus ihm hervor, und ihm schwindelte von der pulsierenden Erregung, die ihn nun durchfloß.
    »Wie heißt du?« fragte er.
    Sie antwortete nicht. Sie ging immer schneller, und er paßte sich ihrem Tempo an. Sie war nicht schön, das konnte er jetzt mit aller Deutlichkeit sehen, trotz der zunehmenden Finsternis. Ihre Züge waren unregelmäßig, ihre Nase zu lang und ihr Mund zu breit. Als sie lächelte, sah er, daß ihre Vorderzähne übereinandergewachsen waren. Doch diese Unvollkommenheit war ihm lieber als die glatte Normierung der Puppen. Und daß ihre Haut zu dunkel war und grob und daß sich Pigmentflecken auf ihrer Stirn zeigten, zog ihn mehr an, als es ihn abstieß. Sie war natürlich.
    Außerhalb der Stadt zog sie ihn in einen trockenen Graben. Sie zogen sich nicht einmal aus. Alles ging sehr schnell. Sie besprangen einander wie Kinder, deren Lust zu groß ist, als daß sie sich noch länger bezähmen können. Sie paarten sich wie Tiere, schnell, grob, ohne miteinander ein Wort zu wechseln.
    Es war für Erik eine überwältigende Erfahrung, und sie war genauso stark wie seine erste. Gewissermaßen war dies auch für ihn das erste Mal.
    Er wußte jetzt, daß die Sexpuppen ein modischer Irrtum gewesen waren. Auf Dauer gesehen konnte nur die Paarung mit einem wirklichen Menschen wahre Befriedigung schenken. Zärtlich schaute er auf die Frau, die neben ihm lag. Sie hielt die Augen geschlossen und atmete sanft. Erik berührte sie. Sie öffnete den Mund.
    »Ich heiße Ellie«, sagte sie in einem warmen und zugleich sachlichen Tonfall. »Ich bin eine verbesserte Version der Sexpuppe. Ich bin ein Testexemplar. Würden Sie die Güte haben und mir eventuelle Beschwerden mitteilen? Sie werden auf Band gespeichert und für Konstruktionskorrekturen herangezogen. Sie können mich liegenlassen, wo ich bin. Ich bin imstande, aus eigener Kraft zur Fabrik zurückzukehren.«

    Übersetzt von Manuel van Loggem

Olga Rodenko
Die Bewerbung
    Ich meldete mich an. Dies war nun wirklich die Chance meines Lebens, und dafür hatte ich sogar meinen dezenten Zweireiher mit den Nadelstreifen angezogen. Wenn es sich um die Chance des Lebens dreht, tut man so etwas.
    Der Portier behandelte mich wie ein Maschinenteil vom Fließband. Aber das ist nun mal die Art von Portiers. Ich dachte daran, daß ich mich hundertmal an ihm würde rächen können, wenn ich erst den Job hatte. Allerdings wurde mir sogleich klar, daß es Unfug war, allzuviel Energie für einen Portier zu verschleudern. Und doch: Als ich im Vorzimmer saß, ärgerte ich mich noch immer über ihn. Im Vertrauen gesagt: der Kerl hatte mich so aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht, daß ich das Männchen, das dort zusammengekauert in einer Ecke saß, überhaupt nicht bemerkte.
    Auch der Anstreicher, der etwas später – bewaffnet mit Leiter und Farbtopf – hereinkam, erregte kaum meine Aufmerksamkeit.
    Als der Anstreicher wieder verschwunden war, begann das Männchen zu sprechen.
    »Kommen Sie sich auch bewerben?« fragte es höflich.
    Es war ein sehr altes Männchen.
    »Ja«, sagte ich. »Kannʼs noch lange dauern?«
    »Oh«, bekam ich zur Antwort, »Sie

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