Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)
zeigt, hat zumindest Estland den Preisanstieg gestoppt. 9 Außerdem haben beide Länder ( Abbildung 4.5 ) ihre Löhne nach dem Ausbruch der Krise massiv gesenkt.
Die lettische Lohnsenkung beim Staat und in der Gesamtwirtschaft überstieg mit einem Wert von etwa 20 % sogar die irische Lohnsenkung in dieser Zeit. Das ließ sich nicht ohne eine massive reale Kontraktion bewerkstelligen. Lettlands BIP fiel von 2007 bis 2010 um 21 %, und Estlands BIP fiel von 2007 bis 2009 um 17 %.
Man fragt sich auch bei diesen beiden Ländern, wieso sie die Löhne haben senken können, während sich Südeuropa so schwer damittut. Ein Grund lag sicherlich darin, dass beide Länder extrem klein und mit 1,34 Millionen Einwohnern (Estland) bzw. 2,06 Millionen (Lettland) nicht größer als manche europäische Städte sind. In solch kleinen Ländern lässt sich der nötige gesellschaftliche Konsens zur Umsetzung von Lohnkürzungen, die die Voraussetzung für Preissenkungen sind, relativ leicht herstellen, weil man alle politische Gruppierungen, die dabei mitwirken müssen, an einem Tisch versammeln kann, zumal jedem noch bewusst war, unter welch katastrophalen Bedingungen man noch vor Kurzem als Teil der Sowjetunion hatte wirtschaften müssen.
Abbildung 4.5: Die Löhne im Baltikum (2005–2010)
Quelle: Eurostat, Wirtschaft und Finanzen , Jährliche Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, VGR Aggregate und Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftsbereichen.
Ein weiterer Grund könnte ähnlich wie bei Irland auch bei diesen beiden Ländern darin gelegen haben, dass der Wirtschaftseinbruch früher als anderswo begann. So war der Wirtschaftsaufschwung, der Europa ab der Mitte des letzten Jahrzehnts erfasst hatte, in Estland bereits im dritten Vierteljahr 2007 wieder zu Ende, und das Bruttoinlandsprodukt begann ab dem Zeitpunkt zu schrumpfen. Lettlandfolgte ein Quartal später. Die Eurozone als Ganzes und die meisten Euroländer (u. a. Deutschland, Frankreich, Spanien und die Niederlande) hatten erst im ersten Vierteljahr 2008 den Gipfelpunkt beim BIP erreicht, bevor sie zu schrumpfen begannen.
Ferner zeigten ihnen der Brüsseler Apparat und die EZB die kalte Schulter. Man konnte ja seine Politik, die für den gesamten Euroraum mit 332 Millionen Menschen bzw. den ganzen EU-Raum mit 503 Millionen Menschen gelten sollte, nicht an kleinen Staaten mit zusammen gerade einmal 3,4 Millionen Einwohnern ausrichten.
Das trifft insbesondere für Lettland zu, das ja dem Euroverbund noch gar nicht angehörte. Die Frage ist allerdings, warum Lettland die Rosskur der realen Abwertung freiwillig durchgemacht hat, obwohl es doch noch die Möglichkeit hatte, eine offene Währungsabwertung durchzuführen. Als Antwort gab der ehemalige Ministerpräsident Valdis Dombrovskis bei einer Diskussionsveranstaltung in München die Erklärung, dass man sonst die Euro-Mitgliedschaft gefährdet hätte. 10 Mit diesem Argument habe er alle Sozialpartner auf eine Politik der massiven Lohnkürzung verpflichten können. »Wenn man in den Euro hineinwill, tut man alles. Wenn man schon drin ist, kann man offenbar tun, was man will«, erklärte er dazu.
Wenn man drin ist, kann man im Übrigen sein Mitbestimmungsrecht im EZB-Rat und in den anderen politischen Entscheidungsgremien nutzen, um auf politischem Wege weniger mühsame Lösungen zu finden, könnte man noch ergänzen.
LOCKERE BUDGETBESCHRÄNKUNGEN
Die Sackgasse, in die einige Länder der Eurozone geraten sind, resultiert aus dem inflationären Boom, den der Euro diesen Ländern gebracht hat, weil er ihre privaten und öffentlichen Budgetbeschränkungen eine gute Dekade lang gelockert hatte. Damit ergibt sich aufeiner höheren Abstraktionsebene eine beunruhigende Parallele zu den lockeren Budgetbeschränkungen, mit denen der ungarische Ökonom János Kornai 19 bereits im Jahr 1980 den Untergang der Sowjetunion vorausgesagt hatte.
Die Welt, in der die Menschen leben, ist kein Schlaraffenland, sondern eine Welt der Knappheit, in der Güter, Kapital, Arbeitskräfte und natürliche Ressourcen von rivalisierenden Interessen begehrt werden. Der Kommunismus ist gescheitert, weil er die Knappheit nicht in den individuellen Budgetbeschränkungen der Menschen abgebildet hat. Wenn der Apparat etwas wollte, wurde es gemacht. Die benötigten Güter wurden herbeigeschafft, ohne dass jemand einen Überblick darüber hatte, welchen Schaden man hervorrief, indem man sie anderen Verwendungen entzog. Es galt das Primat der Politik
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