Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)
noch berücksichtigen, dass das deutsche Nettovermögen im Ausland, das sich durch die Leistungsbilanzüberschüsse aufbaut, zum Ende des ersten Vierteljahres 2012 bei 1.277 Milliarden Euro hätte liegen müssen, wie es der Endpunkt der gestrichelten dunkelroten Kurve besagt. Von diesem Vermögenswert gingen allein schon durch den Kursverfall der erworbenen Wertpapiere, der im Wesentlichen durch die gestiegenen Konkurswahrscheinlichkeiten zustande kam, 263 Milliarden Euro oder 21 % verloren. Das wurde ähnlich schon im Zusammenhang mit Abbildung 3.6 für das Jahresende 2011 konstatiert. 15 Entsprechend ergibt eine Hochrechnung, dass zum Ende des ersten Vierteljahres 2012 bereits gut 80 % des aufgrund der Leistungsbilanzüberschüsse errechneten Nettoauslandsvermögens der Deutschen oder gut 1,1 Billionen Euro in Target-Forderungen, zwangsweise zugeteilte Staatspapiere konkursgefährdeter Länder, Forderungen aus Rettungskrediten und Abschreibungen aufgrund von Marktwertverlusten verwandelt worden sind. 16
EINE FUNDAMENTALE DICHOTOMIE DER EZB-POLITIK
Die bisherige Analyse hat nur die Fakten beschrieben und (fast) keine Erklärungen zum Zusammenhang zwischen den Hilfskrediten, den Kapitalbewegungen und den Leistungsbilanzsalden gegeben. Was hier was verursacht hat, ist bewusst offengelassen worden. Der Sachverhalt als solcher ist so, wie er dargestellt wurde, und er ist alarmierend genug. Gleichwohl gibt es natürlich kausale Zusammenhänge.
Politiker und viele Notenbanker erwecken häufig den Eindruck, dass die Leistungsbilanzdefizite und die Kapitalflucht exogene Ereignisse seien, auf die man nur mit einer großzügigen Bereitstellung von Liquidität und öffentlichen Rettungsschirmen reagieren könne. Die Krisen-Länder müssten Reformen durchführen, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen und das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen. Bis das geschehen sei, müsse man ihnen finanziell unter die Arme greifen.
Diese Position ist im Sinne der Geld-im-Schaufenster-Theorie vertretbar, um kurzfristig spekulative Attacken abzuwehren. Sie übersieht aber die mathematischen Zusammenhänge zwischen den Größen, die in die Budgetbeschränkung eines Landes eingehen. Es ist nun einmal eine unveränderliche Tatsache, dass ein Leistungsbilanzdefizit und ein privater Kapitalexport nur in dem Maße stattfinden können, wie öffentliche Kredite in Form generöser Refinanzierungskredite aus der Notenpresse oder in Form von intergouvernementalen Hilfen die Finanzierungslücke schließen. Hätten die öffentlichen Gelder nicht als Ersatz zur Verfügung gestanden, hätten die Krisenländer nicht gleichzeitig ein Leistungsbilanzdefizit haben und unter einer Kapitalflucht leiden können. Dies ist die fundamentale Dichotomie der EZB-Politik: Die EZB muss entweder die Kapitalflucht ermöglicht haben, die sie zu bekämpfen vorgibt, 17 oder sie muss die strukturelle Verbesserung der Leistungsbilanzdefizite der Südländer verhindert haben, die sie immer wieder einfordert. 18 Mindestens einer dieser für sie etwas unbequemen Schlussfolgerungen muss sie sich stellen.
Das ist keine theoretische Aussage über ökonomische Wirkungsketten, sondern die Beschreibung einer rechnerischen Identität. Man kann sie nicht mit ökonometrischen oder anderen empirischen Methoden prüfen, genauso wenig wie man empirisch prüfen kann, ob eins und eins zwei ist. EZB und Staatengemeinschaft müssen aus logischen Gründen entweder die Leistungsbilanzsalden gestützt oder die Kapitalflucht ermöglicht haben. Eine dritte Möglichkeit gibt es nun einmal nicht.
Vermutlich taten sie beides. Die strukturelle Verbesserung der Leistungsbilanz hat die EZB verhindert, wie in Kapitel 4 schon ausgeführt wurde, weil sie durch ihre Kreditersatzpolitik den Ländern die Möglichkeit gegeben hat, trotz der Verweigerung der Kapitalmärkte in den Jahren 2007 bis 2009 erst noch einmal weiter zu machen wie bisher, und ab 2010 kamen dann die Hilfen der Staatengemeinschaft hinzu, die den gleichen Effekt hatten. Es ist bezeichnend, dass, wie Abbildung 4.3 zeigte, bis auf Irland, das sich als erstes Krisenland noch selbst helfen musste, keines der anderen Krisenländer in den ersten vier Jahren der Krise real abgewertet hat. Griechenlandhat, wie Abbildung 4.4 zeigte, die Löhne seiner Staatsbediensteten nach Ausbruch der Krise im Sommer 2007 in zwei Jahren noch um 28 % erhöht, Spanien um 17 % und Portugal um 10 %. Die privaten Gehälter stiegen etwas
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