Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)
gestiegenen Anlagerisiken bleiben, wenn sie dafür keine höheren Zinsen bekamen? Weil das alles nicht einzusehen war, bezogen die Banken der Krisenländer den Kreditlieber aus der Notenpresse, und die Banken der Kernländer legten ihr Geld stattdessen lieber bei ihrer nationalen Notenbank an.
Die EZB behauptet, sie habe mit ihren Refinanzierungskrediten nur Ersatz für den Zusammenbruch des Interbankenmarktes und die Flucht des kurzfristigen Anlagekapitels geboten. 20 Das ist eine mögliche Interpretation des Geschehens. Eine andere Interpretation ist, dass sie den Interbankenkredit mit der Notenpresse selbst in die Flucht geschlagen hat.
Man wird empirisch vermutlich nie feststellen können, welche dieser Interpretationen richtig ist, weil die Dinge Hand in Hand gingen. Vermutlich haben beide Interpretationen zu unterschiedlichen Zeiten in mehr oder weniger großem Umfang gestimmt.
Die Sichtweise der EZB hat vermutlich im Herbst 2008 gestimmt, als nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers Panik auf den Geldmärkten ausgebrochen war. Eine Kernschmelze der Weltwirtschaft stand damals nach Einschätzung vieler Beobachter kurz bevor und konnte durch das Fluten der Märkte mit frischem Geld aus der Notenpresse in letzter Sekunde verhindert werden. 21 Die Sichtweise der EZB hat aber schon ab dem Herbst 2009 nicht mehr gestimmt, weil die Weltwirtschaft da schon wieder Tritt gefasst hatte und sich die Probleme nur noch auf einzelne Euroländer beschränkten. Es war ja nicht so, dass die Banken der Kernländer des Eurogebiets gar nicht mehr bereit waren, kurzfristigen Kredit nach Italien oder Spanien zu geben. Nur hätten sie dafür einen Risikoaufschlag im Zins von vielleicht ein, zwei Prozentpunkten gebraucht, aber den waren die Banken in diesen Ländern nicht mehr zu zahlen bereit, weil ihnen ihre Notenbank das Geld ohne einen solchen Aufschlag anbot.
Damit vervollständigt sich die Interpretation der Krise, die schon in den vorigen Kapiteln, insbesondere Kapitel 2, 3 und 4 gegeben wurde. Erst hat billiger Kredit die peripheren Länder in einen inflationären Boom getrieben, der sie ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte und riesige Leistungsbilanzdefizite entstehen ließ. Dann verweigerte sich das Kapital diesen Ländern und zog es vor, im Heimathafen zu bleiben, was dort einen Bau- und Investitionsboom erzeugte, während die auf den Kapitalzufluss angewiesenen Länder in die Krise kamen. Obwohl dieser Prozess die Leistungsbilanzungleichgewichte strukturell abgebaut hätte, hielt die EZB dagegen, indem siedem Sparkapital der Kernländer den Geleitschutz der Steuerzahler eben dieser Kernländer verschaffte, um es doch wieder dort hinzulocken, wo es eigentlich nicht mehr hin wollte. Das gelang aber nur in begrenztem Maße, weil der meiste Refinanzierungskredit, den sie anbot, postwendend als Fluchtkapital in die Kernländer zurückkehrte. Die Leistungsbilanzdefizite und der damit verbundene Kapitalimport wurden mittels riesiger Target-Kredite aufrechterhalten, weil diese Kredite die notwendige reale Abwertung verhindert haben. Dafür wurden bis zum Juli zwei Drittel des Nettoauslandsvermögens der Deutschen von Ende März 2012 verbraucht, und doch kann von einer Abschwächung der Krise bislang nicht die Rede sein.
9 Die Target-Falle
Deutschland wird erpressbar — Der Haftungspegel — Die deutschen Verluste bei einem Zusammenbruch des Euro — Was kostet der Konkurs Griechenlands? — Ein Marshall-Plan für Griechenland? — Fällt Europa, wenn der Euro fällt? — Staatskonkurse, Schuldenschnitte und Währungswechsel
DEUTSCHLAND WIRD ERPRESSBAR
Man kann in eine Falle tappen, die einem jemand gestellt hat. Man kann sich auch selbst eine Falle stellen. Welche dieser beiden Möglichkeiten auf die Target-Kredite zutrifft, kann man angesichts der Verve, mit der Helmut Kohl das Europrojekt verfolgt hat, und der Cleverness oder Weitsicht von Jacques Delors dahingestellt sein lassen. Tatsache ist aber, dass Deutschland heute in der Target-Falle steckt. 1
Das Target-System ist eine Falle, weil die Bundesbank – wie die Notenbanken der Niederlande, Finnlands und Luxemburgs, die sich in einer ähnlichen Lage befinden – nicht die Möglichkeit hat, ihre Target-Forderungen einzutreiben. Die Forderungen entstanden, weil Güter oder Anlagewerte in andere Länder geflossen sind und von der Bundesbank im Auftrag ausländischer Käufer bezahlt wurden oder weil die Bundesbank im Auftrag ausländischer Schuldner
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