Die Tarnkappe
von Rädern, ein Skateboardfahrer, der auf dem Bürgersteig fuhr, schnell. Direkt auf Simon zu. Der weicht noch aus, dachte Simon, und dieser alte Gedanke, dieser kappenfreie Gedanke war schuld daran, dass er nicht reagierte: Es gab einen Aufprall, und beide stürzten zu Boden. Simon war nur darauf bedacht, die Kappe aufzubehalten. Aber die saß bombenfest. Der Skateboardfahrer rieb sich die Schulter, ein Passant half ihm auf, Simon hörte die Worte, das wird schon wieder, halb so wild, er wisse auch nicht, wie das passiert sei, er habe das Gefühl gehabt, da sei ihm was im Weg gestanden, und sie sahen sich um, fanden aber nichts. Simon hockte dort und starrte in die Luft. Ihn fröstelte. Was wäre geschehen, dachte er, wenn der fremde, kalte Mensch aus der Welt der anderen ihn, Simon, gar nicht berührt hätte? Wenn dieser Skateboardfahrer durch ihn hindurchgerast wäre, ihn durchquert hätte wie einen leeren Raum? Nein, es war gut so: Dass er berührt werden konnte, gab ihm eine Sicherheit, noch da zu sein.
Er suchte ein Restaurant auf, stieg die Stufen hinab, öffnete die Tür zu den Toilettenräumen: Im Vorraum befand sich niemand. Simon wusch seine unsichtbaren Hände, die sich seit dem Sturz schmutzig anfühlten. Simon dachte kurz nach, hakte den Seifenspender aus der Verankerung, öffnete tastend die mittleren Knöpfe seines Hemds, legte den Seifenspender an den nackten Nabel, sah, wie das Ding im Nichts verschwand, als er Hemd und Jackett darüber schob, und dann wartete er. Nach ein paar Minuten betrat ein Mann den Vorraum, ging an Simon vorbei, Reißverschluss, Urinplätschern, Reißverschluss, Spülung. Am Waschbecken suchte der Mann den Seifenspender und fand ihn nicht, obwohl Simon neben der Box mit den Papierhandtüchern stand. Der Mann zuckte mit den Schultern und hielt die Hände unter den Hahn, ehe er sie trocknete und den Raum verließ. Simon jubelte stumm. Er wusste jetzt: Was er unterm Hemd trug, war genauso wenig zu sehen wie er selbst. Weder Seifenspender noch Taschentücher noc h – Geldbündel. Als er nach draußen trat, strich er sein Jackett glatt und fühlte sich ein bisschen so, wie wenn man aus dem Kino kommt und zwei Stunden lang James Bond gesehen hat, den coolen, smarten und schönen James Bond, und sich dann, auf dem Weg nach Hause, auch ein klein bisschen so fühlt wie der coole, smarte und schöne James Bond und die Schritte ein wenig federn lässt und mit gewagtem Sprung das Mäuerchen nimmt und sich umschaut, ob auch alle Welt diesen Stunt gesehen hat.
12
E ine neue Kraft füllte ihn aus. Er fühlte sich jung und vor allen Dingen nicht mehr allein. Manchmal redete er mit sich selbst. Oder mit der Kappe. Er dachte nicht darüber nach, was er tun wollte, wenn er als Geist in die Welt trat, er tat die Dinge einfach. Das war wie ein starkes, inneres Jucken, das zwangsläufig ein Kratzen nach sich zog. Etwas trieb ihn dazu, mit den Menschen zu spielen. Er liebte es, sie zu erschrecken, und tat zunächst nichts anderes. Diese Blicke. Ihre Pupillen. Erwachen aus dem Einerlei. Einbruch des Unmöglichen. Angriff auf das Gewohnte. Simon sammelte die erschrockenen Blicke wie Schmetterlinge. Eine Vase fiel vom Tisch, ein CD -Spieler sprang an, eine Schranktür öffnete sich, ein Fenster knallte zu trotz Windstille, das Holz in der Wohnung knackte lauter als sonst, eine ferne Stimme raunte ein geheimnisvolles Wort. Die Leute fuhren herum, herausgerissen aus ihrem abgespulten Leben, Simon konnte ihre Herzen förmlich schlagen hören. Doch der Augenblick des Erschreckens wich sofort einem lächerlichen Drang, das, was nicht sein durfte, in den Käfig der Erklärung zu sperren: Ein kleines Erdbeben, dachten oder sagten die Menschen, ein unerwarteter Windzug, und Holz lebt, Holz arbeitet, Holz knarrt nun mal, dann wieder technische Störung, im Zweifel zuckten sie mit den Schultern und lebten einfach weiter so, wie sie es gewohnt waren. Aber ganz kurz hatte Simon ihr Leben erschüttert. Die Menschen hörten beinlose Schritte auf der Treppe hinter sich oder ein Klingeln, dem der Klingelfinger fehlte, Wasserhähne drehten sich von selber auf, Bücher polterten aus Regalen und blieben aufgeschlagen liegen, eine spiritistische Sitzung wurde ein Bombenerfolg.
Doch dann saß Simon im Park, war eingedöst, auf der Bank, im Schatten, und eine Frau setzte sich auf seinen Schoß. Sie war etwa Mitte vierzig und wollte kurz Luft schnappen von ihrem ermüdenden Einkauf, hatte schon mit der Linken ein
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