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Die Tarnkappe

Die Tarnkappe

Titel: Die Tarnkappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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im Raum. Frau Kubelik fuhr herum, sah zum Stuhl, das Licht brannte noch, sie schrie: »Wer ist da!?« Simon biss sich auf die Lippe. Er stand langsam auf und tastete sich nach hinten. Die Tür war zu, und er käme nicht raus aus dem Zimmer, ohne für neues Aufsehen zu sorgen. Frau Kubelik schaute unters Bett, ächzte laut, sah im Kleiderschrank nach, konnte sich immer noch nicht beruhigen, öffnete die Tür, spähte hinaus, ging durch den Flur in die Küche, und Simon nutzte die Gelegenheit, sich davonzustehlen. Zurück in seiner Wohnung nahm er die Kappe vom Kopf und stöhnte. So lange hatte er sie noch nie aufgehabt.

11
    S imon war wütend. Auf sich selbst. Auf seine Unvorsichtigkeit. Er hatte sich mitreißen lassen. Frau Kubelik hätte vor Schreck zusammenbrechen können. Das durfte nicht noch mal passieren. Er musste vorsichtiger werden, wenn er mit Kappe unter Menschen trat. Er fühlte sich müde und verzichtete am Sonntag auf das Aufsetzen der Kappe, grübelte, wie er die Dinge am besten in den Griff bekommen könnte. Sein Kopf platzte vor Möglichkeiten. Das, dachte Simon, wird ein neues Leben werden, das, dachte er, wird der Wandel sein, der Anfang. Er verfluchte den Montag. Er hätte jetzt mehr Zeit für sich gebraucht, statt zur Arbeit zu trotten. Trotzdem, er wollte nicht, dass alles zusammenbrach über ihm und er sich nur noch unter der Kappe verkroch. Er wollte versuchen, Schritt zu halten. Dazu brauchte er sein altes Leben, seine Routine. Doch als er am Montagmorgen das Haus verließ, fiel ihm die Zeitung auf, die immer noch im Rohr an der Haustür steckte. Simon zuckte mit den Schultern und ließ sie dort. Im Büro fühlte er angenehmen Schwindel. Nach und nach tröpfelten die Kollegen ein. Die Zeit xte sich aus. Simon schrieb. Ohne Überzeugung. Ohne Beteiligung. Ohne Lust. Suchte einen nüchternen Ton für die Briefe, aber fand ihn nicht. Nicht heute. Nicht für diese Armada der sich pausenlos Beschwerenden. Nicht für dieses niemals zu stopfende Loch ewiger Unzufriedenheit. Simon saß eine Weile da und tat nichts. Irgendwann legte er sein Gesicht vorsichtig in die Handflächen, als sei es eine kostbare, frisch enthüllte Skulptur. Den Kollegen fiel nichts auf. Nur Frau Hackethal kam an seinen Schreibtisch und fragte, ob alles in Ordnung sei. Simon schreckte hoch, nickte, lächelte, bedankte sich, merkte, wie Frau Hackethal noch etwas fragen wollte, sich aber irgendwie nicht traute, wusste selber nicht, was er hätte sagen können, um ein Gespräch anzuknüpfen, unter Kollegen, Frau Hackethal klopfte kurz auf seinen Tisch, sagte »Also dann!« und setzte sich wieder an ihren Platz. Frau Hackethal, dachte Simon und blickte ihr nach, Miriam, was sind Sie für ein Mensch? Wer weiß, dachte er, vielleicht werden wir uns bald wiedersehen, das heißt, ich werde Sie wiedersehen, und Simon schluckte fehlenden Speichel bei diesem Gedanken, weil er die absolute Einseitigkeit jeder Begegnung spürte, die nun mit der Kappe auf ihn zukäme. Erregt kniff er die Augen zusammen, sah sich um: ein überscharfes Bild des Büros, in dem er arbeitete, dieser unverrückbare Fortgang des ewig Gleichen, das Tag für Tag, Morgen für Morgen, Stunde für Stunde in diesem Büro und in allen Büros der Welt geschah. Simon gab sich einen Ruck und zog den letzten Konrady-Brief hervor. »Polnischer Abschaum«, schrieb Konrady. Nach wiederholter, auch schriftlicher Aufforderung, endlich das Kreischen und Planschen im Garten zu unterlassen, sei bis dato immer noch nichts geschehen, und wenn ihm, Konrady, beim Heckenschneiden die Heckenschere aus den Fingern gleite, könne er nichts dafür, wenn neben der Hecke das Planschbecken stehe. Außerdem hätten die Gören ihm eine in Scheiben geschnittene Banane unter die Fußmatte gelegt. »Früher wäre so was nicht passiert«, schrieb Konrady, »früher hätten wir die Kinder in Erziehungslager gesteckt.« Da machte etwas klick in Simon, er holte Luft und schrieb eine wütende Antwort, einen alles zertrümmernden Brief, in dem er schonungslos darlegte, was er wirklich über Herrn Konrady dachte. Simon wusste, wenn er diesen Brief abschickte, wäre das gleichbedeutend mit seiner Entlassung, aber es verschaffte ihm ungeheure Befriedigung, er tütete den Brief ein und legte ihn in den Postausgang. Einmal unter Strom kniete er sich mächtig rein, tippte Antworten, schrieb immer schneller, arbeitete unermüdlich, man brachte ihm, als sein Stapel geschrumpft war, einen neuen, und während er

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